„Frauen sind in der Krise die Reservearmee“

Katharina Mader ist Ökonomin an der Wirtschaftsuniversität Wien. Ihr Forschungsschwerpunkt ist feministische Ökonomie.
Foto: kontrast.at

Die Frauen beweisen gerade, dass sie es sind, die in der Corona-Krise alles am Laufen halten. Zu Hause im Home-Office übernehmen sie Kinderbetreuung und Unterricht, in systemerhaltenden Frauenberufen wie der Pflege stehen sie an vorderster Front. Warum wir Care-Arbeit besser sichtbar machen und aufwerten müssen erklärt im Interview die Ökonomin Katharina Mader.

KOMPETENZ: Seit der Corona-Krise arbeiten viele Menschen im Home-Office. Besonders für Frauen ist das oft eine deutliche Mehrfachbelastung. Sie leiten ein aktuelles Forschungsprojekt zu diesem Thema?

Katharina Mader: Wir haben gleich zu Beginn der Krise eine Studie mit Unterstützung des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds begonnen. Mittels eines Fragebogens wollen wir herausfinden, wie sich Home-Office, also die Verlegung von Büroarbeit in die eigenen vier Wände, auf die Familienarbeit auswirkt: Wer kümmert sich um die Kinder, wer putzt und kocht, wer betreut die Großeltern, wie wird diese unbezahlte Arbeit aufgeteilt?

Ich sollte aber noch hinzufügen: Home-Office ist zur Zeit zwar stark verbreitet, allerdings überwiegend bei ArbeitnehmerInnen mit höherer Schulbildung und Einkommen. Es sind also ganz bestimmte soziale Schichten, die von zu Hause aus arbeiten können.

KOMPETENZ: Ihr Projekt ist derzeit noch im Laufen. Mit welchen Hypothesen und Erwartungen haben Sie Ihre Studie begonnen?

Katharina Mader: Wir möchten zwei grundlegende Hypothesen untersuchen: Zum einen sehen nun Männer die unbezahlte Arbeit zu Hause, die sie vorher nicht sehen konnten, weil sie tagsüber außer Haus an ihrem Arbeitsplatz waren. Zum anderen wissen wir aus der Vergangenheit, dass Krisen traditionelle Rollenbilder verstärken, wo der Mann der Familienernährer ist und die Frau sich um Haushalt und Kinder kümmert.

Durch die Corona-Krise fiel plötzlich in den Haushalten sehr viel mehr Arbeit an, da Kindergärten und Schulen geschlossen waren, die Großeltern ausfielen, die Putzfrau nicht mehr kam, usw. Das ist enorm viel zusätzliches Arbeitsvolumen!

Jetzt war es in Österreich auch schon vor der Krise so, dass tendenziell der Mann der Ernährer ist und die Frau die Zuverdienerin, die außerdem die Familienarbeit erledigt. Home-Office scheint dieses Rollenverhalten zu verstärken. Während der Mann so wie immer arbeitet, Vollzeit und sogar zeitweise auch – trotz Corona – im Büro, versucht die Frau, ihren Job und die Kinderbetreuung und das Home-Schooling unter einen Hut zu bringen. Frauen erledigen ihre Erwerbsarbeit dann oft frühmorgens, spätabends oder nachts.

Ich höre andererseits aber auch Geschichten von Männern, die nach 18 Uhr keine Videokonferenzen mehr wollen, da sie die Kinder ins Bett bringen müssen. Daher dürfte es auch positive Effekte in der Krise geben, weil nämlich viele Männer nun mehr Zeit zu Hause verbringen und sehen, wie anstrengend Familienarbeit ist.

KOMPETENZ: Wie fällt Ihre Prognose für die Zukunft aus: Wird es einen länger anhaltenden Backlash für die Frauen geben?

Katharina Mader: Was die aktuelle Situation in den Haushalten angeht, dachten wir in der Ökonomie immer, dass im Haushalt verhandelt wird, wer welche Aufgaben übernimmt. Frauen mit höherem Einkommen schaffen es besser, die unbezahlte Arbeit wegzuverhandeln. Die Soziologie sagt uns aber: Es wird gar nicht verhandelt, die Arbeitsaufteilung „passiert“ einfach, da hier vorgegebene Rollenmuster wirken. Man kann das z.B. gut beobachten, wenn ein Paar das erste Kind bekommt. Da ist es oft so, dass davor die Arbeit im Haushalt gerecht geteilt wurde, dann bleibt aber die Frau beim Kind zu Hause in Karenz, und nach der Karenz übernimmt sie einfach weiterhin die Familienarbeit.

Aktuell leite ich daraus die Gefahr ab, dass auch jetzt wiederum Rollen wirksam sind und nicht verhandelt wird. Das bedeutet, dass Frauen die Familienarbeit übernehmen, nicht weil sie es so mit ihrem Partner vereinbart haben, sondern weil eben dieses traditionelle Rollenmuster wirksam ist.

„Wir wissen aus der Vergangenheit, dass Krisen traditionelle Rollenbilder verstärken“

Katharina Mader

KOMPETENZ: Welche Gefahren drohen den Frauen nach Corona?

Katharina Mader: Das große Risiko für Frauen nach Corona werden die hohen Arbeitslosenzahlen sein. Man wird den Familienernährern, also den Männern, Priorität am Arbeitsmarkt geben. Das wiederum kann dazu führen, dass Frauen aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden. Das müssen wir daher unbedingt jetzt schon thematisieren!

Frauen müssen vor allem raus aus der Unsichtbarkeit. Dass Frauen wochenlang Home-Office, Kinder und Haushalt vereinbaren mussten, wurde von der Politik viel zu wenig gesehen und unterstützt, und das war zum Teil auch ein sehr österreichisches Phänomen. In Dänemark z.B. wurden sehr bald die Kindergärten wieder geöffnet. In Österreich öffnete man als erstes die Baumärkte, das spricht doch für sich! Was die Krise mit den Kindern macht, wurde kaum nachgefragt – aber man fragte eben auch nicht, was es mit den Eltern macht.

Die Frage, die sich für mich stellt, ist außerdem: Wer genau sind eigentlich die „Systemerhalter“? Die Krise zeigt uns nämlich: Es sind jene Frauen, die in systemerhaltenden Berufen arbeiten. Sie durften während Corona auch ihre Kinder in Betreuung geben. Wenn allerdings traditionell der Mann als Systemerhalter – nämlich als Familienernährer – gesehen wird, so konnten Frauen nur dann, wenn es gar nicht mehr anders ging Kinderbetreuung in Anspruch nehmen. Wenn das allerdings scheinheilig als „keine Schande“ bezeichnet wurde, so ist das sehr bezeichnend für die Situation der Frauen in Österreich.

KOMPETENZ: Wird der Einsatz der Frauen während der Krise belohnt werden, konkret: wird sich das in der Folge im Verdienst niederschlagen?

Katharina Mader: Ich fürchte, dass sich ihr Einsatz für die Frauen finanziell nicht lohnen wird. Auch wenn geklatscht wurde, das wird zu keiner finanziellen Aufwertung führen. Leider wird es noch länger eine Reservearmee an Arbeitslosen geben, und das wird die Löhne und Gehälter drücken.

Trotzdem erachte ich es für ganz wesentlich, für bessere Arbeitsbedingungen und für Arbeitszeitverkürzungen zu kämpfen, ich denke da vor allem an die Sozialwirtschaft.

KOMPETENZ: Sie fordern eine Neubewertung der Care-Arbeit, wie könnte man diese überwiegend von Frauen ausgeführten Tätigkeiten aufwerten?

Katharina Mader: Die Sorgearbeit in Privathaushalten ist unsichtbar, nicht wertgeschätzt und auch nicht bezahlt. Aus dieser unbezahlten Arbeit daheim ist eine unterbewertete Erwerbsarbeit entstanden, wie eben z.B. in der Pflege.

Ganz wichtig wäre es daher, die unbezahlte Arbeit sichtbar zu machen. Man darf nicht vergessen: Hier werden wesentliche Vorleistungen für die Wirtschaft erbracht!

Leider ist die Verhandlungsposition für Frauen schwierig, denn sie beweisen jetzt gerade, dass sie eine Reservearmee sind, die zupacken, wenn’s drauf ankommt. Auch unter normalen Umständen arbeiten Frauen bezahlt Teilzeit, und dann unbezahlt daheim weiter.

Die Krise führt uns trotzdem vor Augen, wie überlebensnotwendig diese Arbeit ist! Sie stützt außerdem den sozialen Zusammenhalt: Frauen leisten nicht nur privat die Care-Arbeit, sondern auch in Schulen, Kindergärten, Altersheimen, usw. Wenn wir diese Arbeit neu bewerten wollen, müssen wir sie daher zuerst besser sichtbar machen.

Das ist insofern schwierig, weil unsere Gesellschaft Arbeit vor allem als Produktionsarbeit wahrnimmt. Arbeit bedeutet immer noch für viele Menschen, dass etwas hergestellt wird, das man dann auch sehen und anfassen kann, eine Schraube z.B., oder auch ein Autoteil. Wir sind aber heute eine Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft, d.h. der Begriff der Arbeit umfasst längst viel mehr als ein konkretes Produkt.

„Man wird den Familienernährern, also den Männern, Priorität am Arbeitsmarkt geben“

Katharina Mader

KOMPETENZ: Derzeit gibt es eine verstärkte mediale Aufmerksamkeit für ausländische WanderarbeiterInnen und PflegerInnen in der 24h-Pflege. Wo könnte man ansetzen, um deren Situation zu verbessern?

Katharina Mader: WanderarbeiterInnen in globalen Care-Ketten werden nun während der Krise mit einem mal wahrgenommen, ebenso wie die Arbeiter in Schlachthöfen oder die ErntearbeiterInnen.

Die 24h-Pflege in Österreich ist ein scheinbar erfolgreiches, aber eben doch missglücktes Hilfskonstrukt. Die Pflegerinnen lassen ihre Kinder daheim bei den Großeltern zurück, um im Ausland arbeiten zu können. Um die Situation dieser Frauen zu verbessern müsste man erstens bei den Löhnen ansetzen, und zweitens die Branche regulieren, und damit meine ich vor allem die Agenturen, die daran gut verdienen.

Auch hier wiederum müssen wir genauer hinschauen! Wie gehen wir eigentlich mit den alten Menschen in unserem Land um? Es bräuchte mehr staatliche Strukturen statt privater Agenturen. Während der Krise hat sich gezeigt, dass der freie Markt in diesem Bereich völlig kontraproduktiv ist.

Generell gilt: Unbezahlte Arbeit in Haushalten wird ausgelagert an Putzfrauen, Babysitterinnen, Pflegerinnen. Das heißt jetzt natürlich nicht im Umkehrschluss, dass Frauen das alles wieder selbst machen sollen, im Gegenteil. Paare müssten sich die Sorgearbeit besser aufteilen. Und vor allem die Gesellschaft muss sich ihrer Verantwortung hier bewusst werden.

KOMPETENZ: „Koste es, was es wolle“ war der Slogan der Regierung zu Beginn von Corona. Wer wird nun dafür bezahlen, wo kommt das Geld her?

Katharina Mader: Es wird ganz sicher weitere Konjunkturprogramme brauchen. Nach der Krise wird allerdings rasch wieder die Rede von den Maastricht-Kriterien und vom Sparen sein. Während der letzten Krise 2008 wurden z.B. in Spanien und Italien viele Spitäler privatisiert. Jetzt wurde offensichtlich, was für ein enormer Fehler das war! Die Lehre daraus für die jetzige Krise muss sein, dass auf gar keinen Fall bei der staatlichen Versorgung gespart werden darf!

Neben der Ausgabenseite – dem Sparen – wird man sich auch die Einnahmenseite genauer ansehen müssen. Hier dürfen die Ungleichheiten nicht weiter verschärft werden, indem man z.B. die Umsatzsteuer erhöht. Was wir brauchen sind Solidaritätsbeiträge der reicheren Bevölkerungsschichten. Vermögenssteuern haben noch dazu den Vorteil eines Gleichstellungseffekts: Es sind überwiegend Männer, die im Besitz großer Vermögen sind und hohe Erbschaften machen.

Die ersten Ergebnisse des Projekts „Mehrfachbelastung unter COVID-19: Home-Office und Hausarbeit“ unter der Leitung von Dr.in Katharina Mader werden im Juni veröffentlicht werden.

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