„Österreich muss Geld in Beschäftigung investieren“

Foto: Ingo Pertramer

Der Ökonom Oliver Picek plädiert im Interview für neue Konjunkturpakete, Programme zur Senkung der Langzeitarbeitslosigkeit und warnt vor einem verfrühten Sparkurs.

KOMPETENZ: Wenn Sie auf den Beginn des Lockdowns vor über einem halben Jahr zurückblicken: Haben sich Ihre schlimmsten Befürchtungen betreffend den Arbeitsmarkt bewahrheitet, oder sind wir glimpflich davongekommen?

Oliver Picek: Mit Ende August waren 450.000 Beschäftigte in Kurzarbeit und 420.000 arbeitslos. Das sind fast 100.000 Arbeitslose mehr als vor Corona. Zwischenzeitlich, auf dem Höhepunkt der Krise, gab es bis zu 1,3 Millionen KurzarbeiterInnen. So gesehen ist die Lage natürlich jetzt besser als im Frühjahr. Trotzdem gibt es noch viel Unsicherheit, die Erholung verläuft schleppend.

Zu Beginn der Krise stellte sich die Frage, ob der wirtschaftliche Einbruch schnell wieder vorbei sein wird oder ob er lange dauern wird. Inzwischen ist klar, dass wir es mit langfristigeren Problemen zu tun haben. Es werden noch verzögerte Insolvenzen von Betrieben auf uns zukommen und wir werden dauerhaft Arbeitsplätze verlieren. Eine echte wirtschaftliche Erholung wird noch länger auf sich warten lassen.

KOMPETENZ: Wäre eine kürzere Arbeitszeit zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sinnvoll?

Oliver Picek: Eine Arbeitszeitverkürzung wäre durchaus eine wirtschaftspolitische Antwort auf die Krise, weil so die vorhandene Arbeit besser verteilt würde und mehr Arbeitsplätze entstehen könnten. Sozial wichtig wäre, dass NiedrigverdienerInnen trotz kürzerer Arbeitszeit gleich viel Lohn erhalten. Ausreichende Lohnerhöhungen oder staatliche Förderungen können dabei helfen.

„Wir könnten uns gegen die Klimakrise wappnen, Menschen in der Pflege beschäftigen, im öffentlichen Sektor einstellen – all das hätte auch großen Nutzen!“

Oliver Picek

Frankreich hat eine Arbeitszeitverkürzung ja vor einigen Jahren zeitweilig probiert, und auch wenn der französische Weg von manchen angezweifelt wurde, so denke ich doch, dass er ein erfolgreiches Vorbild sein kann. Dazu kommt, dass eine Arbeitszeitverkürzung auch zahlreiche andere positive Effekte bringt, wie mehr Freizeit für den Einzelnen und eine höhere Produktivität im Betrieb, was wiederum für Österreich ein positiver Faktor im internationalen Wettbewerb wäre.

KOMPETENZ: Reicht das derzeitige Konjunkturpaket zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit?

Oliver Picek: Da die Arbeitslosigkeit immer unmittelbar von der Konjunktur abhängt, müsste der Staat alles dafür tun, damit die Wirtschaft wieder anspringt. Hier braucht es einen wirklich großen Wurf: Umfassende Konjunkturpakete und massive Investitionen. Das derzeitige Konjunkturpaket der Regierung
ist leider relativ schwach. Insbesondere bei der öffentlichen Beschäftigung wäre noch viel mehr möglich. Ich denke da an die Pflege, aber auch ans Justizwesen, das chronisch unterbesetzt ist, oder natürlich an Schulen und Bildungseinrichtungen. Hier könnten zahlreiche Stellen geschaffen werden, die der Allgemeinheit zu Gute kommen. Auch grüne Investitionspakete gegen die Klimakrise wären jetzt sinnvoll. Da wird zu wenig investiert für wirklich ambitionierte Ziele, und fürs derzeitige Nicht-Handeln werden langfristig hohe Kosten anfallen. Noch dazu gäbe es zur Zeit genug billige Kredite.

KOMPETENZ: Nach der Krise wird es voraussichtlich noch mehr Langzeitarbeitslose als bisher geben. Wie kann man diese Menschen wieder in Beschäftigung bringen?

Oliver Picek: Für Langzeitarbeitslose braucht es direkt geförderte, öffentlich finanzierte Arbeitsplätze, wie die Aktion 20.000 sie geschaffen hat. Bei der Aktion 20.000 war die Zufriedenheit der Teilnehmenden sehr hoch, weil gesellschaftlich sehr sinnvolle Stellen geschaffen wurden. Leider wurde diese Aktion vorzeitig von der schwarzblauen Regierung abgebrochen. So ein Programm könnte auch durchaus größer dimensioniert sein. Man könnte an die 100.000 Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose schaffen. Das würde knapp 1 Milliarde kosten – das entspricht nicht einmal drei Tausendstel der jährlichen Wirtschaftsleistung. Drei Tausendstel, das sollte es uns doch wert sein, wenn wir damit die Langzeitarbeitslosigkeit beseitigen könnten und jenen Menschen helfen, die finanziell und psychisch unter einem permanenten Druck stehen!

KOMPETENZ: Wann wird die Wirtschaft wieder in Fahrt kommen und was wären Ihre Empfehlungen für die unmittelbare Zukunft?

Oliver Picek: Der tiefe Einbruch ist inzwischen vorbei – und immer vorausgesetzt, die Cluster-Isolation im Herbst gelingt und es gibt keine neuen Lockdown, – so wird der wirtschaftliche Aufschwung zwar kommen, aber ich fürchte, er wird zu schwach sein. Alle WirtschaftsforscherInnen sind sich einig, dass wir erst im Jahr 2022, schlimmstenfalls 2023, das wirtschaftliche Niveau von vor der Krise erreichen werden. Das wirft uns enorm zurück!

Für Österreich bedeutet das, dass wir ein zweites Konjunkturpaket brauchen, das vor allem Geld in Beschäftigung investiert. Ebenso müssten die anderen Länder Europas und die USA investieren um die Wirtschaft zu beschleunigen, damit die Arbeitslosigkeit unter das Niveau von vor Corona gesenkt wird.
Eine große Gefahr ist, dass man jetzt zwar ein bisschen investiert, um das Schlimmste zu verhindern, aber dann zu früh wieder spart. Solange sich die Wirtschaft nicht auf einem ausreichenden Wachstumskurs befindet, ist das gefährlich, weil es bleibende reale Einkommensverluste bedeuten würde. Denn selbst dann, wenn die Wirtschaft wieder zu wachsen beginnt, so bleibt immer noch die Differenz zum Niveau vor der Krise, die möglicherweise nie eingeholt wird.

Die gleiche Situation hatten wir nach der Finanzkrise von 2008/2009: Den Verlust an Einkommen während der Krise haben wir nachher nie wieder aufgeholt, weil die wirtschaftliche Entwicklung zu schwach war und die Staaten zu rasch wieder gespart haben. Auch Österreich hat gespart, um die EU-Budgetvorgaben einzuhalten. Man hätte aber noch viel stärker wachsen müssen, um eben das Vorkrisenniveau wieder aufzuholen. Es lässt sich über die letzten 40 Jahre hinweg beobachten: Nach jedem Wirtschaftsabschwung hat die Arbeitslosenquote neue und immer neue Rekordhöhen erklommen. Genau das droht jetzt auch wieder, wenn man schon nächstes Jahr wieder zu sparen und zu kürzen beginnt. Die EU Budgetvorgaben sind derzeit noch ausgesetzt, aber für 2022 gelten sie wieder.

Dabei wäre die Finanzierung von Konjunkturpaketen im Moment kein Problem, die Zinsen sind auf Null, Geld kostet den Staat momentan nichts. Jede sinnvolle Ausgabe zahlt sich somit aus. Wir könnten uns gegen die Klimakrise wappnen, Menschen in der Pflege beschäftigen, im öffentlichen Sektor einstellen – all das hätte auch großen Nutzen! Wir hätten die einmalige Chance, Zukunftsprojekte umzusetzen!

KOMPETENZ: Reicht das derzeitige Konjunkturpaket aus, um das Wachstum zu beschleunigen?

Oliver Picek: Im Konjunkturpaket finden sich viele Maßnahmen für Unternehmen, die nicht zielgerichtet sind. Der Fokus sollte auf Unternehmen und Bereiche gelegt werden, wo Unterstützung tatsächlich gebraucht wird. Auch der Konsum sollte angekurbelt werden. Tatsächlich ist das Füllhorn derzeit für alle Unternehmen offen, auch für jene Unternehmen, die von der Krise gar nicht so sehr betroffen sind. Gleichzeitig ist man an der falschen Stelle geizig, indem z.B. die Arbeitslosen eine kleine Einmalzahlung erhalten statt einer ordentlichen Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Die Regierung müsste in der Steuerreform stärker die NiedrigverdienerInnen entlasten und auch die KMUs unterstützen, anstatt Steuergeschenke für Großunternehmen zu planen. All das hat derzeit dramatische wirtschaftliche Konsequenzen. Viel Geld droht verschleudert zu werden, anstatt dorthin zu gelangen, wo es den größten wirtschaftlichen Nutzen hätte und Arbeitsplätze schafft.

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