„Wir sind nicht mehr abzuspeisen“

Karin Wilflingseder, Vorsitzende der „Themenplattform Elementar-, Hort- und Freizeitpädagogik“ in der Gewerkschaft GPA.
Foto: Nurith Wagner-Strauss

Seit Jahren machen ElementarpädagogInnen darauf aufmerksam, dass die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit unzumutbar sind. Außer schöner Worte kam seitens der Politik nicht viel. Im Oktober gab es daher erstmals Arbeitsniederlegungen in der Arbeitszeit.

Eine, die sich hier seit vielen Jahren kämpferisch einsetzt, ist Karin Wilflingseder. Sie ist Vorsitzende der „Themenplattform Elementar-, Hort- und Freizeitpädagogik“ in der GPA und macht im Gespräch mit der KOMPETENZ klar: „Wir sind nicht mehr abzuspeisen.“ Für März kündigt sie daher die nächsten Proteste an. Ein Porträt.

„Es war mir immer klar: wenn es um Frauenrechte und bessere Arbeitsbedingungen geht, dann muss das immer noch von unten erkämpft werden“, sagt Karin Wilflingseder. Daher entschloss sie sich 2007 zur Betriebsratsarbeit, daher übernahm sie 2013 den Vorsitz der damals neu gegründeten Themenplattform in der GPA. Vernetzung mit anderen BetriebsrätInnen ist dabei ein wesentlicher Faktor: nach und nach wurde ihr während ihrer Tätigkeit als Elementarpädagogin der schlechte Organisationsgrad bewusst. Mit „kämpferischen KollegInnen“ wollte sie daher eine Vorhut bilden und freut sich, dass es inzwischen in der Branche viele gibt, die ebenfalls der Ansicht sind, dass man sich für bessere Arbeitsbedingungen aktiv einsetzen muss.

Ihr eigener Arbeitsplatz sticht angesichts der Rahmenbedingungen in vielen anderen Kinderbildungseinrichtungen zwar positiv hervor: „Das war ein Konzept, das mir 1995 schon gut gefallen hat.“ Kurz zuvor war sie von Oberösterreich, wo sie aufgewachsen und ihre Ausbildung zur Elementarpädagogin absolviert hatte, nach Wien gezogen. Um den Jahreswechsel 1994/95 fing sie dann an, für den Verein StudentInnenkinder zu arbeiten. Dabei handelt es sich um ein selbstverwaltetes Haus, das zwei Kindergruppen sowie eine Hortgruppe für Kinder von Studierenden an der Universität Wien betreibt.

„Statt, dass die Arbeitsbedingungen besser werden, nimmt die Arbeitsverdichtung immer weiter zu. Die KollegInnen sind wirklich so was von am Limit.“

Karin Wilflingseder

Der Vorstand besteht aus Eltern von hier betreuten Kindern. Die Gruppen sind etwas kleiner als in anderen Einrichtungen (22 Mädchen und Buben pro Gruppe) und pädagogisch sieht man sich in der Tradition der Kinderladen-Bewegung der 1968er, in Österreich entspricht das der Kindergruppen-Bewegung. „Leider wurde ja viel von den guten Ansätzen in der Zwischenkriegszeit durch den Faschismus zugeschüttet.“ Es freut sie, dass die Gründung dieses Kindergartens, in den auch die Schriftstellerin und frühere SPÖ-Politikerin Irmtraut Karlsson involviert gewesen sei, im Zug des Selbstbewusstseins der Frauenbewegung entstanden sei.

Genau die sieht sie eben auch jetzt, wenn es um die Arbeitsbedingungen in Kindergärten geht, gefordert. Sie selbst habe im Rahmen ihrer Arbeit festgestellt: wenn man mit den Eltern der Kinder, die man betreue, per du sei, dann verschieben sich die Grenzen der Selbstausbeutung. „Arbeitszeiten, Überstunden, das wird dann alles ein bisschen zugedeckt.“ Das war für sie auch ein Grund, sich als Betriebsrätin zu engagieren. In der Vernetzung mit anderen BetriebsrätInnen stellte sie fest: die ganze Branche kämpft mit ähnlichen Problemen. Es gehe in der Vertretungsarbeit eben nicht nur darum, die Verträge neuer KollegInnen zu prüfen. Man müsse auch immer wieder klarstellen, was gebraucht wird, um gut arbeiten zu können.

Und genau da hapert es seit Jahren massiv. „Statt dass die Arbeitsbedingungen besser werden, nimmt die Arbeitsverdichtung immer weiter zu“, prangert Wilflingseder an. Und betont: „Die KollegInnen sind wirklich so was von am Limit.“ Die PädagogInnen kümmern sich häufig um 25 Kinder, die AssistentInnen sind meist nur für 20 Stunden beschäftigt und müssten den Großteil ihrer Arbeitszeit mit Reinigungs- und Küchenarbeit verbringen. Zur Unterstützung in der Gruppe seien sie im Schnitt nicht mehr als 1,5 Stunden am Tag. „Sie sind wirklich die working poor und in unserem Bereich arbeiten zu 98,5 Prozent Frauen.“

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Viele Kinder hätten schon ein Rucksackerl zu tragen, hätten also besondere Bedürfnisse, aber jeder wisse: individuelle Förderung sei zwar in den Bildungsrahmenplänen niedergeschrieben, aber umgesetzt werden könne davon in den viel zu vollen Gruppen nicht viel. „Genau daran verzweifeln die KollegInnen“, sagt Wilflingseder. „Sie gehen nach der Ausbildung wirklich motiviert in den Beruf und können dann all das Gelernte nicht anwenden. Als Elementarpädagogin zu arbeiten hat manchmal mehr Hirtenhundcharakter als den von hochwertiger pädagogischer Arbeit.“

Viele kämen am Abend heim, der Schädel brumme und sie würden überlegen, was sie an dem Tag nicht machen hätten können und mit welchem Kind sie keinen Kontakt gehabt hätten. „Manche können während der Dienstzeit nicht einmal aufs Klo gehen, weil sie Angst haben, die Aufsichtspflicht zu verletzen und bekommen dann Harnwegsinfekte.“ Die Drop-out-Rate sei extrem hoch, „mit diesen Rahmenbedingungen laufen uns die Leute entsetzt davon“. Die Coronapandemie habe zudem sehr deutlich gemacht, wie wenig wertgeschätzt die Elementarbildung sei. Die Politik habe hier bis heute für kein Sicherheitskonzept gesorgt, „obwohl wir mit Kindern arbeiten, die großteils noch nicht geimpft werden können.“

Dass sie 2013 zur Vorsitzenden der Themenplattform gewählt wurde, sieht sie im Rückblick durchaus auch als „Zeichen für eine Aufbruchsstimmung“, denn: „Ich stehe absolut nicht für einen Kuschelkurs. Ich nehme das Wort Klassenkampf schon auch gerne in den Mund.“ Viele Jahre habe man nun versucht, auf die schwierigen Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen – von der Politik habe man aber nichts als schöne Worte zu hören bekommen.

„Schluss mit den braven Tanten. Wir sind selbstbewusste kämpferische Frauen, die sich dafür einsetzen, dass ihre Rechte und Anliegen auch wahrgenommen werden“.

Karin Wilflingseder

Im vergangenen Oktober legten viele Elementar- und HortpädagogInnen mit den AssistentInnen daher die Arbeit in der Arbeitszeit nieder. Durchaus mit Erfolg: in Wien sagte daraufhin Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) schon im Vorfeld der Proteste zu, dass AssistentInnen ab dem Schuljahr 2022/23 statt 20 dann 40 Stunden in den Woche eingesetzt würden. Und der damalige Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) versprach mehr Geld für die Elementarpädagogik – Details sollen nun im Rahmen der 15a-Verhandlungen zwischen Bund und Ländern ausverhandelt werden. Schluss sei mit den braven Tanten, so Wilflingseder, „wir sind selbstbewusste kämpferische Frauen, die sich dafür einsetzen, dass ihre Rechte und Anliegen auch wahrgenommen werden“.

Die nächsten Proteste in der Arbeitszeit werden daher schon geplant. Wilflingseder kündigt sie für 29. März an – dann allerdings zwischen 6.00 Uhr und 15.30 Uhr. Teilnehmen würden zudem die MitarbeiterInnen weiterer Kinderbildungseinrichtungen wie zum Beispiel auch der Kindergruppen sowie Hort- und FreizeitpädagogInnen. „Wir haben noch wahnsinnig viel Eskalationspotenzial“, betont Wilflingseder. Das habe Bildungsstadtrat Wiederkehr bei einem Gesprächstermin diesen Jänner zwar nicht amüsiert, aber die vergangenen Jahre hätten eben gezeigt, dass es nicht anders gehe.

Wilflingseder hat hier übrigens durchaus Erfahrung aus anderen Bereichen. Sie engagiert sich in ihrer Freizeit bei „Linkswende jetzt“, einer außerparlamentarisch aktiven Initiative. Diese wiederum begründete 2015 die „Plattform für eine menschliche Asylpolitik“ mit. Aus diesem Kontext weiß sie auch, wie man große Proteste organisiert. Bis heute ist sie hier aber auch persönlich in der Flüchtlingshilfe aktiv. Nur ihre Sonntage versucht sich Wilflingseder frei zu halten. Diese sind für Spaziergänge in der Natur reserviert. In Nichtpandemiezeiten trifft man sie zudem oft im Kino und bei Konzerten an.

Zur Person:

Karin Wilflingseder, geb. 1971 in Oberösterreich, Ausbildung zur Elementarpädagogin, Ende 1994 Übersiedlung nach Wien. Hier seit 1995 im Verein StudentInnenkinder tätig, dieser betreibt zwei Kindergruppen sowie eine Hortgruppe für Kinder von Studierenden an der Universität Wien. Seit 2007 Betriebsratsvorsitzende, seit 2013 Vorsitzende der „Themenplattform Elementar-, Hort- und Freizeitpädagogik“ in der GPA. Politisch aktiv ist sie auch in ihrer Freizeit, in den vergangenen Jahren vor allem im Bereich Flüchtlingshilfe.

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