„Ohne Gewerkschaftsarbeit käme ich mir amputiert vor“

Foto: Edgar Ketzer

Karin Kadar, Betriebsratsvorsitzende im Rehabilitationszentrum Großgmain der Pensionsversicherung in Salzburg sucht nach den großen Zusammenhängen um für die Beschäftigten eine professionelle Personalplanung zu erreichen. Persönlich kämpft sie mit verschwimmenden Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit und sucht nach einer guten Lösung zur persönlichen Abgrenzung.

Karin Kadar ist ausgebildete Logopädin und arbeitet seit 1999 im Rehab-Zentrum in Großgmain. Das Interesse für die gewerkschaftliche Arbeit war von Beginn an da: „Ich bin ein politischer Mensch, interessiere mich für die Hintergründe der Gesundheitsversorgung und bin neugierig, wie gewisse Abläufe funktionieren.“

2012 avancierte Kadar zur Vorsitzenden des Betriebsrates, weil der damalige Vorsitzende Pflegedienstleiter wurde. Ihre erste gewerkschaftliche Funktion brachte sie gleich an die Spitze von rund 150 Beschäftigten. Welche große Verantwortung und welch enormes Arbeitspensum damit auf sie zukommt, konnte sie damals noch nicht ahnen: „Die KollegInnen schickten mich mit einem augenzwinkernden `du packst das schon´ in die Funktion. Hätte ich gewusst, wie viel Arbeit da auf mich zukommt, hätte ich es mir wohl dreimal überlegt.“

„Es war schwierig, ein Team für die Betriebsratswahl aufzustellen. Viele KollegInnen interessierten sich für die gewerkschaftliche Arbeit, aber nicht alle wollten den Schritt wagen, aktiv mitzumachen.“

Die gewerkschaftliche Arbeit war für Kadar zu Beginn völliges Neuland: „Es war schwierig, ein Team für die Betriebsratswahl aufzustellen. Viele KollegInnen interessierten sich für die gewerkschaftliche Arbeit, aber nicht alle wollten den Schritt wagen, aktiv mitzumachen.“

Betriebsratsarbeit ist arbeiten im Team

Mittlerweile hat Kadar ein verlässliches Team um sich geschart: „Die KollegInnen sind unbezahlbar, sie leisten tolle Arbeit.“ Im Betriebsratsgremium herrscht eine offene und gute Diskussionskultur: „Wir haben oft unterschiedliche Ansichten, bleiben aber immer sachlich.“ Es gehe immer darum, gemeinsam etwas weiterzubringen und Standpunkte zu argumentieren – niemals darum, persönliche Rechnungen zu begleichen: „Die Betriebsratsarbeit vereint uns, sie gibt uns ein Podium und die Möglichkeit über unsere Arbeitsbedingungen zu diskutieren und sie auch zu beeinflussen. Jeder Tag hat mich bereichert, ich habe es nicht bereut.“

Unterschätzt hat Kadar die Fülle an Verpflichtungen, die aus der gewerkschaftlichen Tätigkeit resultieren – die Gefahr einer Entgrenzung sei hoch: „Wenn man die Betriebsrats-Arbeit wie ich ernsthaft und professionell machen möchte, muss man eine Menge Zeit investieren.“

Seit 2015 ist Kadar zusätzlich stellvertretende Vorsitzende im Zentralbetriebsrat der Pensionsversicherungsanstalt und sie ist Mitglied in der Vollversammlung und im Kontrollausschuss der Arbeiterkammer. Durch die breit gestreuten Funktionen bekommt Kadar „einen gewissen Weitblick“, der für sie eine wichtige Triebfeder ist: „Ich habe Einblick in Hintergründe von Gesetzgebung und Umsetzung, die mich zum Brennen bringen und mir in der täglichen Arbeit mit den KollegInnen und bei übergreifenden Aufgaben sehr helfen.“ Kadar ist in die Vorbereitung von Betriebsvereinbarungen ebenso involviert wie in die Kollektivvertragsverhandlungen für die Sozialwirtschaftsbranche. So kann sie mit KollegInnen aus anderen Versorgungsbereichen diskutieren und überlegen, wo der Schuh drückt und wie man es besser machen könnte: „Die vielen Termine machen jede Menge Arbeit, aber erleuchten mir auch jede Menge interessanter Zusammenhänge.“

Freistellung würde Entlastung bringen

Neben all diesen Tätigkeiten hat Kadar weiterhin als Logopädin gearbeitet. Die chronische Überbelastung sowie eine Mischung aus den Arbeitsumständen und der Art wie andere Akteure sich im Betrieb verhalten haben, ließ ein Burnout wachsen: „Meine Arbeitsumstände waren auf Dauer nicht gesund.“

Eine Freistellung als Betriebsrätin hätte die dringend notwendige Entlastung gebracht, bei der letzten Wahl im September 2021 lag die Zahl der ArbeitnehmerInnen im Betrieb jedoch knapp unter der erforderlichen Grenze. So wurden die täglichen Pflichten für Kadar zum Kampf. Sie wollte weder die Arbeit als Betriebsrätin liegen lassen, noch konnte sie ihre PatientInnen vernachlässigen: „Leider ist es im gesamten Gesundheitsbereich so, dass jemand anderer die Arbeit erledigen muss, wenn Beschäftigte ausfallen.“ Ein schlechtes Gewissen wurde Kadar´s ständiger Begleiter.

„Es gibt aktuell keinen Ersatz, wenn ich selbst oder andere KollegInnen ausfallen. Das ist organisatorischer Wahnsinn und bringt uns alle massiv unter Druck!“

Karin Kadar

Eine Lösung könnte der Rechtsanspruch auf eine Aufstockung von Stunden sein, die für die Betriebsratsarbeit benötigt werden: „Es gibt aktuell keinen Ersatz, wenn ich selbst oder andere KollegInnen ausfallen. Das ist organisatorischer Wahnsinn und bringt uns alle massiv unter Druck!“ Dennoch will Kadar weiterarbeiten: „Ich bleibe involviert, bin direkt betroffen und kenne die Probleme nicht nur vom Hörensagen. Jede Maßnahme des Arbeitgebers betrifft mein Tun und den Umgang mit meinen PatientInnen.“

Covid beleuchtet die Probleme im Gesundheitswesen

Die Covid-Krise hat die Arbeitssituation im Gesundheitsbereich verschärft: „Die Pandemie wirkt bei uns wie eine Lupe, sie beleuchtet und verstärkt die Probleme, die es schon seit vielen Jahren gibt.“ Das Rehabzentrum kämpft mit Kündigungen und Pensionierungen quer durch alle Gesundheitsberufe, die teilweise nicht nachbesetzt werden können.

Kadar selbst ist seit Oktober im Burnout, will sich aber in alle Funktionen zurückkämpfen. Entgrenzung sei für alle Gesundheitsberufe ein wichtiges und aktuelles Thema: „Wir müssen auf betrieblicher Ebene einen Rahmen schaffen, in dem die Arbeit für alle Berufsgruppen im Haus von außen sinnvoll begrenzt wird.“

„Die Pandemie wirkt bei uns wie eine Lupe, sie beleuchtet und verstärkt die Probleme, die es schon seit vielen Jahren gibt.“

Karin Kadar

Trotz Hektik und umfangreicher Verpflichtungen stellt die Betriebsratsarbeit für Kadar eine „wahnsinnige Bereicherung des Arbeitsalltages dar: Ich schätze die intensive Interaktion mit KollegInnen im Betrieb und an anderen Standorten. Ich bekomme wertvolle Einblicke in Abläufe, Strukturen und in die Bedürfnisse der Beschäftigten. Die gewerkschaftliche Arbeit ist ein wichtiger Teil von mir geworden – ohne diese Vertretungstätigkeit käme ich mir amputiert vor.“

Persönlich will Kadar weiterhin beide Bereiche abdecken: „Ich liebe meinen Beruf von Herzen und will aktive Logopädin bleiben.“ Doch auch die systemischen Baustellen haben es ihr angetan: „Die Arbeit alleine ist mir nicht mehr genug. Ich will aktuelle Probleme im Arbeitsumfeld gemeinsam mit KollegInnen bekämpfen.“ Eine Funktion wegzulassen ist daher keine Option: „Das würde mich aus der Bahn kippen. Die Arbeit als Betriebsrätin trifft meine zentralen Werte ebenso intensiv wie meine Tätigkeit als Logopädin.“

Zu tun gibt es genug: Alle Berufsgruppen im Rehabzentrum kämpfen mit steigender Arbeitsbelastung bei sinkendem Personalstand: „Wir haben auch Kündigungen, viele empfinden die zunehmenden Vorgaben als immer korsettartiger und enger geschnürt.“ Dabei brauche das Personal gerade in der Rehabilitationsarbeit Ruhe und Kraft: „Die PatientInnen benötigen ein hohes Maß an Betreuung und Unterstützung um wieder in die Selbstständigkeit zu finden. Da kann man nicht einfach einen nach dem anderen abarbeiten. “

Die MitarbeiterInnen bluten aus

Problematisch sei auch der Umgang mit Teilzeit-Pflegekräften, die oft das gesamte Arbeitspensum stemmen müssten, aber für´s Einspringen schlecht bezahlt werden: „Das ist eine Todsünde und rächt sich bitter.“ Kadar kritisiert, dass Dienstpläne oft keine zwei Wochen lang halten: „Die MitarbeiterInnen können durch die vielen Ausfälle ihre freie Zeit nicht mehr verlässlich planen.“ Daher steht die Dienstplantreue neben einem besseren Personalschlüssel, gelebter Wertschätzung und einer Reduktion der Arbeitsbelastung ganz oben auf ihrer betriebsrätlichen Agenda: „Eine transparente, den erwartbaren Tätigkeiten angepasste Personalplanung wäre über Betriebsvereinbarungen regelbar.“

Auch müssten Befragungsergebnisse inklusive notwendiger Konsequenzen – auch für die Führungsebene – endlich ernsthaft umgesetzt werden: „Erschüttert sein alleine reicht nicht, es muss sich auch mal was verändern dürfen.“

Die aktuelle Gesprächsbasis zur Geschäftsführung beschreibt Kadar als „sehr themenabhängig, in manchen Bereichen sehr konstruktiv, anderswo zeige man sich zugeknöpft bis unter das Kinn: Ich sehe das Bemühen, wenn es aber oft nur bei Lippenbekenntnissen bleibt, ist das für beide Seiten sehr frustrierend.“

Zur Person

Die geborene Oberösterreicherin Karin Kadar ist 52 Jahre alt und lebt mit ihrem Partner in Salzburg. Sie ist eine leidenschaftliche Leserin, im Burnout hat sie ihre kreative Ader entdeckt und arbeitet gerne mit Ton. In Pandemiezeiten vermisst sie unkomplizierte Treffen mit Freunden. Sie reist gerne und schaut auch privat gerne über ihren eigenen Tellerrand hinaus.

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