Pensionssystem mit höherer Beschäftigung absichern

„Das österreichische Alterssicherungssystem ist ein tolles System. Im europäischen Vergleich sehen wir, dass die Altersarmut in Österreich geringer ist als die Armut über die gesamte Gesellschaft betrachtet“, sagt Christine
Mayrhuber im Interview mit der KOMPETENZ.

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Damit das österreichische Pensionssystem auch weiterhin gut funktioniert,
muss sich der Arbeitsmarkt besser auf die Bedürfnisse von Frauen, aber auch
älteren ArbeitnehmerInnen einstellen, sagt die WIFO-Expertin Christine
Mayrhuber im Gespräch mit der KOMPETENZ.

KOMPETENZ: Von Regierungsseite wurde angeregt, die geblockte Altersteilzeit abzuschaffen. Würde das zu mehr Beschäftigung führen?

Christine Mayrhuber: Über die geblockte Altersteilzeit wurde jetzt im Kontext eines späteren Pensionsantritts diskutiert. Für mich passen die beiden Themen aber überhaupt nicht zusammen. Ich als Ökonomin schaue mir die Beschäftigungsstatistiken an. Und hier zählen die Menschen, die in der Freizeitphase der geblockten Altersteilzeit sind, noch als beschäftigte Personen. Wenn diese geblockte Variante nun abgeschafft werden würde, würde die Beschäftigungsquote dadurch nicht steigen.

KOMPETENZ: Ein weiterer Vorschlag ist, dass Menschen, die bereits eine Pension beziehen, aber zusätzlich weiter erwerbstätig sind, keine Beiträge in die Pensionsversicherung mehr einzahlen müssen. Was würde das für das Pensionssystem bedeuten?

Christine Mayrhuber: Die Kombination Erwerbstätigkeit und Pensionsbezug ist bei Selbstständigen häufiger, sie können ja auch autonom über ihre Erwerbstätigkeit und den Pensionsantrittszeitpunkt entscheiden. Unselbständig Beschäftigte brauchen hingegen einen Betrieb, der sie beschäftigt oder weiterbeschäftigt. Durch entfallende Pensionsbeiträge steigt für die ArbeitnehmerInnen die Beitragsgrundlage zur Einkommenssteuer, das Nettoeinkommen erhöht sich nicht im Ausmaß der entfallenden Beiträge. Offen ist, ob durch geringere Beitragssätze alleine Unternehmen mehr Ältere beschäftigen. Offen wäre auch, ob diese beitragsfreie Zeit pensionserhöhend wirken würde. Erwerbstätigkeit ab einem bestimmten Alter beitragsfrei zu stellen wäre jedenfalls eine Ungleichbehandlung im Pensionssystem beziehungsweise eine neue Form der beitragspflichtigen, aber beitragsfreien Beschäftigung. Aus ökonomischer Sicht macht es wenig Sinn, die Pensionsversicherungsbeiträge zu reduzieren, weil sich die Finanzierungslage für die Pensionsversicherung dadurch verschlechtert.

Fotos: Nurith Wagner-Strauss

KOMPETENZ: Pensionierungswellen bei besonders geburtenstarken Jahrgängen stehen an. Wie kann auch in Zukunft gewährleistet bleiben, dass jeder, der sein ganzes Erwerbsleben ins Pensionssystem eingezahlt hat, auch eine existenzsichernde Pension erhält?

Christine Mayrhuber: Wir haben ein Umlage-finanziertes System. Das heißt, dass die Beiträge der aktiv Beschäftigten für die laufenden Pensionen umgelegt werden. Der Arbeitsmarkt ist also das Fundament für die Alterssicherung – auch und besonders in der Zukunft. Wir brauchen nicht nur hohe Beschäftigungszahlen, sondern gute Einkommen. Die vergangenen Lohnabschlüsse, teilweise mit sinkenden Reallöhnen, haben auch die Pensionsfinanzierung gedämpft.

„Der Arbeitsmarkt ist also das Fundament für die Alterssicherung – auch und besonders in der Zukunft.“

Christine Mayrhuber

Um hohe Löhne in Zukunft zu erreichen, braucht es Veränderungen im Aus- und Weiterbildungssystem. Da sehe ich große Verwerfungen in Österreich. Es wird akzeptiert, dass es viele SchulabbrecherInnen gibt, die dann schwer am Erwerbsarbeitsmarkt Fuß fassen können und zeitlebens in prekären Beschäftigungsformen bleiben. In dem Zusammenhang ist auch die Migrationsdiskussion anders anzulegen. Die Jugendlichen von heute, egal mit welcher Staatsbürgerschaft sie in diesem Land leben, sind die LeistungsträgerInnen von morgen, sie halten die Wirtschaft am Laufen.

KOMPETENZ: Erwartet uns durch den Umstand, dass nun geburtenstarke Jahrgänge in Pension gehen und weniger Beschäftigte nachkommen, eine Verteilungsdebatte?

Christine Mayrhuber: Diese Verteilungsdebatte haben wir bereits, sie wird allerdings zu wenig aktiv geführt. Vielmehr dominiert das Schlagwort „Generationenkonflikt“, womit die notwendige Debatte, das Aufzeigen von unterschiedlichen Interessenlagen, ausgeblendet wird. Aus ökonomischer Sicht ist es klar, dass einer größer werdenden Gruppe mehr Mittel zur Verfügung stehen sollten, um eine relative Verarmung dieser Gruppe zu vermeiden. Eine Neuverteilung von Wohlstand braucht einen gesamtwirtschaftlichen Blick und einen gewissen demokratischen Grundkonsens. Vermeintliche Sachzwänge wie „wir können uns das nicht mehr leisten“ müssen jedenfalls inhaltlich argumentiert werden, da sie nach den hohen Ausgaben im Zug der Pandemie schwer nachvollziehbar sind.

KOMPETENZ: Der Schlüssel liegt also in mehr Beschäftigten. Kommen wir wieder in eine Situation, wo es nötig sein wird, ausländische Arbeitskräfte nach Österreich zu holen?

Christine Mayrhuber: Nein, kurzfristig hat die Beschäftigungsquote noch sehr viel Luft nach oben. Potenzial gibt es einerseits bei den Älteren, beispielsweise bei der Beschäftigungsquote der über 50-Jährigen. 2022 war ein Drittel der arbeitslosen Personen 50 Jahre oder älter. Andererseits hat die Frauenbeschäftigungsquote noch nicht das Niveau von Schweden, Finnland und Norwegen erreicht. Darüber hinaus haben wir rund 230.000 Teilzeitbeschäftigte, die mehr Stunden arbeiten wollen. Ich habe so ein bisschen den Verdacht, die Wirtschaft hätte gerne fixfertige Arbeitskräfte, die sie sofort einsetzen kann, ohne sich irgendwie mit Investitionen in diese Humanressourcen beschäftigen zu müssen, wie sich an den rückläufigen Lehrplätzen zeigt. Wir haben ein Arbeitskräftepotenzial in Österreich. Aber zur Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit beispielsweise – junge Frauen sind übrigens schon besser ausgebildet als Männer – braucht es den Ausbau der Betreuungsinfrastruktur. Es braucht Kindergartenplätze, es braucht verstärkt Männer, die sich auch um Care-Arbeit kümmern und nicht nur alles auf die Frauen abladen, und es braucht Weiterqualifizierungen für Ältere.

KOMPETENZ: Kann sich der Einzelne besser absichern, indem er zusätzlich zur gesetzlichen Pensionsversicherung auch eine private Pensionsversicherung abschließt?

Christine Mayrhuber: Das österreichische Alterssicherungssystem ist ein tolles System. Im europäischen Vergleich sehen wir, dass die Altersarmut in Österreich geringer ist als die Armut über die gesamte Gesellschaft betrachtet. Das System sichert den Großteil der Bevölkerung gut ab. Aber es gibt natürlich Einkommensgruppen, die so aufgestellt sind, dass sie eine Privatvorsorge machen können. Das sei ihnen unbenommen. Im Fall von Arbeitslosigkeit und Krankheit sichert allerdings das gesetzliche Alterssicherungssystem besser ab. Privatvorsorge ist also kein Instrument, das das System für alle verbessert.

Zur Person:
Christine Mayrhuber ist Ökonomin am WIFO und arbeitet seit 1999 im Forschungsbereich „Arbeit, Einkommen und Soziale Sicherheit“. Sie forscht u.a. zu Fragen der Einkommensentwicklung und Einkommensverteilung aus einer Genderperspektive, zur Struktur und Finanzierung der Pensionsversicherung und zu Umverteilungswirkungen sozialstaatlicher Strukturen.

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