Pflege: „Kein Wunder, dass es keinen Nachwuchs gibt.“

Tomy Mihajlovic ist seit 8 Jahren Betriebsrätin und hat diesen Schritt nie bereut, weil sie als Betriebsrätin mehr bewirken kann.
Foto: Nurith Wagner-Strauss

Tomy Mihajlovic ist Betriebsrätin in einem Wiener Pensionist:innenwohnhaus, in einer Branche mit akutem Personalmangel. Es fehlen Anreize und gute Angebote bei der Aus- und Weiterbildung, um mehr Bewerber:innen in die Pflege zu bringen.

Tomislavka ‚Tomy‘ Mihajlovic (43) ist derzeit in Bildungskarenz. Seit mehr als zwanzig Jahren arbeitet sie als Pflegeassistentin im Pensionist:innenwohnhaus Augarten, vor kurzem hat sie ihre Weiterbildung zur Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegerin abgeschlossen.

Im Haus Augarten ist sie stellvertretende Betriebsratsvorsitzende. Zusammen mit den drei anderen Betriebsrät:innen des Angestellten-Betriebsrates vertritt sie die Anliegen ihrer Kolleg:innen. Im Pensionist:innenwohnhaus sind um die 100 Arbeiter:innen und Angestellte beschäftigt, für beide Gruppen gibt es einen eigenen Betriebsrat.

Sie selbst ist seit acht Jahren als Betriebsrätin aktiv. „Damals hat mich eine Kollegin aus dem Betriebsrat ins Team geholt. Weil ich nie Scheu hatte, Probleme mit meinen Vorgesetzten anzusprechen. Außerdem dachte ich mir, als Betriebsrätin kann ich mehr bewirken. Das Mandat gibt meiner Stimme ein anderes Gewicht.“ Die neue Aufgabe übernommen zu haben hat sie nie bereut. „Betriebsrätin zu sein hat sich von Anfang an richtig angefühlt.“

Betriebsrätin zu sein hat sich von Anfang an richtig angefühlt.“

Tomislavka Mihajlovic

Zwei herausfordernde Jahre liegen nun hinter Mihajlovic: Ihre Weiterbildung hat sie berufsbegleitend absolviert, zusätzlich zu ihrem Job und ihrem Engagement als Belegschaftsvertreterin. Sie hat ihre Arbeitszeit reduziert und Bildungskarenz genommen. „Ohne die Unterstützung meiner Familie, ganz besonders meines Mannes, wäre das nicht zu schaffen gewesen“, betont Mihajlovic.

Herausforderung Weiterbildung

Das Haus Augarten liegt im 2. Wiener Gemeindebezirk, direkt neben dem gleichnamigen Park. Es bietet unterstütztes sowie betreutes Wohnen für Senior:innen in Einzel- und Doppelwohnungen an, darüber hinaus auch Pflegeplätze für jene Bewohner:innen, die intensive 24-Stunden-Pflege benötigen.

Mihajlovic arbeitet dort seit mittlerweile 23 Jahren. Sie absolvierte nach ihrer Pflichtschulzeit eine Ausbildung zur Pflegeassistentin, damals noch an der Krankenpflegeschule Lainz, daran anschließend begann sie ihre berufliche Laufbahn im Pensionist:innenwohnhaus. Sie ist verheiratet, hat zwei mittlerweile erwachsene Töchter und einen 14-jährigen Sohn. Alle Kinder leben noch zu Hause.

Für die ihre Fortbildung absolvierte sie insgesamt rund 3.500 Stunden, in Theorie und Praxis. Um den theoretischen Teil zu schaffen, reduzierte sie ihre Arbeitszeit auf 30 Stunden, für die Praktika nahm sie Urlaub und ein Jahr Bildungskarenz. „Als die Kinder noch kleiner waren, wäre das alles unmöglich gewesen“, erzählt Mihajlovic. Dazu kommt, dass die Ausbildung nicht in Wien, sondern in Graz stattfand. „Ich war zwei Jahre lang jeden Monat für vier Tage in Graz, außerdem musste ich zwei der Praktika in der Steiermark absolvieren.“ Es war, resümiert Mihajlovic, „wirklich eine große Herausforderung, nicht nur logistisch, sondern auch finanziell.“

Personalmangel

Eine der Herausforderungen im Pensionist:innenwohnhaus ist die Personalknappheit bzw. zu wenige Bewerbungen. „Das ist eins der Grundprobleme in unserer Branche“, sagt Mihajlovic. „Wir haben dadurch zu wenig Spielraum bei den Dienstplänen. Wir bräuchten so etwas wie einen personellen ‚Polster‘ – hätten wir etwas mehr Personal, wäre es für uns alle leichter!“

„Man könnte nein sagen – aber keiner will die Kolleg:innen im Team hängen lassen! Eine Erkältungs- oder Grippewelle spüren wir dann leider alle.“

Tomislavka Mihajlovic

Viele Mitarbeiter:innen, berichtet die Betriebsrätin, sind dadurch zeitweise am Limit. Wenn es zu Krankenständen oder Pflegefreistellungen kommt, muss für KollegInnen eingesprungen werden. In solchen Momenten macht sich die Personalknappheit dann bemerkbar. Es gibt allerdings, betont Mihajlovic, seitens des Dienstgebers keinen Zwang zum Einspringen. Doch es ist schwierig, abzulehnen. „Man könnte nein sagen – aber keiner will die Kolleg:innen im Team hängen lassen! Eine Erkältungs- oder Grippewelle spüren wir dann leider alle.“

Das größte Problem im Pensionist:innenwohnhaus ist der Mangel an qualifiziertem Personal, erzählt Betriebsrätin Tomislavka Mihajlovic.
Foto: Nurith Wagner-Strauss

Fehlender Nachwuchs

Dazu kommt: Es gibt zu wenige Bewerber:innen für freie Stellen. Mihajlovic sieht dafür mehrere Gründe. Zum einen müssen dringend Bezahlung und Rahmenbedingungen weiter verbessert werden, und auch die Ausbildungsreform hat nicht wirklich viel gebracht, findet sie.

Vor allem diplomiertes Personal bewirbt sich nur selten im Pensionist:innenwohnhaus. Während früher die diplomierten Krankenpfleger:innen an Schwesternschulen ausgebildet wurden, sind nun die Fachhochschulen zuständig. „Wer eine Fachhochschule absolviert hat, möchte meist gleich in einer höherwertigen Position anfangen, z.B. als Teamleiterin oder in einer anspruchsvolleren Stelle in der Verwaltung. Es werden zwar hervorragende Fachkräfte ausgebildet, aber anders als früher, wo die Absolvent:innen der Schwesternschule selbstverständlich ‚am Bett‘ mit den Patient:innen arbeiteten, fehlt es hier nun an Personal“, erklärt Mihajlovic das Dilemma. Sie plädiert daher für bessere Anreize, insbesondere für die Geriatrie, um die Arbeit attraktiver zu machen.

Systemerhalter:innen

Corona, erinnert sie sich, war ein Ausnahmezustand, mit dem manche ihrer Kolleg:innen nur schwer zurechtkamen. Sie verließen die Branche. „Die gesellschaftliche Wertschätzung fehlte. Unser Dienstgeber hat uns zwar sehr wohl vermittelt, wie sehr er unsere Arbeit schätzt. Aber die Politik, das Gesundheitswesen, die müssen umdenken!

Dienst nach Vorschrift war während Corona nicht möglich: „Jemand musste ja schließlich für die Bewohner:innen des Hauses da sein. Für mich war das selbstverständlich. Die Leistung, die wir in diesen Monaten als Systemerhalter:innen erbracht haben, war enorm!“

„Immerhin arbeiten wir heute 5 Stunden weniger pro Woche als zu Beginn meiner Berufslaufbahn, das ist schon ein riesiger Fortschritt.“

Tomislavka Mihajlovic

Freilich habe die gewerkschaftlich hart erkämpfte 37-Stunden-Woche Verbesserungen gebracht, sagt Mihajlovic. Sie selbst habe zu Beginn ihrer Karriere noch 42 Stunden gearbeitet. Schritt für Schritt wurde die Arbeitszeit über die Jahre reduziert. „Immerhin arbeiten wir heute 5 Stunden weniger pro Woche als zu Beginn meiner Berufslaufbahn, das ist schon ein riesiger Fortschritt“, betont sie. Ideal, findet sie, wären 35 Stunden. „Das werden wir auch erreichen, darauf gehen wir zu! Eine verringerte Wochenarbeitszeit bedeutet mehr Erholung, und daher auch weniger Krankenstände und Ausfälle. Am Ende haben alle etwas davon“, ist Mihajlovic überzeugt.

Hast du schon einmal überlegt selbst einen Betriebsrat zu gründen?

Wenn es bei dir im Betrieb mindestens 5 Beschäftigte gibt, kann eine Betriebsratswahl stattfinden. Dein Chef/deine Chefin, darf die Wahl nicht behindern. Als Betriebsrätin/Betriebsrat hast du einen besonderen Kündigungsschutz und du kannst einen Teil deiner Arbeitszeit für die Betriebsratstätigkeit verwenden. Wir unterstützen und begleiten dich und deine KollegInnen bei der Durchführung der Betriebsratswahl.
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Ausbildungskosten

Welche Maßnahmen wären sinnvoll um mehr Personal für die Branche zu bekommen? Die Ausbildungen und auch die Weiterbildungen, findet Mihajlovic, sollten kostenlos sein, und zwar zu hundert Prozent. Ihre eigene Weiterbildung sei zwar finanziell von ihrem Arbeitgeber übernommen worden, doch die zusätzlich anfallenden Kosten wie z.B. die Fahrten nach Graz und die Unterbringung dort habe sie selbst getragen. „Ich wurde außerdem von meinem Mann unterstützt. Er hat sich um die Familie gekümmert, wenn ich nicht in Wien war. Als Alleinerzieherin wäre das für mich nicht möglich gewesen“, gibt Mihajlovic zu bedenken.

Dazu kommt, dass durch die Reduzierung auf Teilzeit (30 Stunden statt 37) für sie auch direkte finanzielle Einbußen beim Gehalt entstanden. Auch während der Bildungskarenz verdiente sie deutlich weniger. „Zusammen genommen ergibt das eine beträchtliche finanzielle Belastung, selbst dann, wenn die eigentlichen Ausbildungskosten der Arbeitgeber übernimmt. Da muss man schon sehr motiviert sein!“

Mangelndes Ausbildungsangebot

Im Herbst soll die neue Pflegelehre als Pilotprojekt starten. Besser als diese Form der Ausbildung würde Mihajlovic eine Gesundheits- und Krankenpflegeschule mit Maturaabschluss finden, denn die Matura eröffnet mehr Möglichkeiten zur Weiterbildung. Die berufsbegleitende Ausbildung in Graz, die Mihajlovic abschließt, ist übrigens ein Auslaufmodell. Ab 2024 wird es nur mehr das FH-Bachelorstudium ‚Gesundheits- und Krankenpflege‘ geben.

Generell findet sie das aktuelle Ausbildungsangebot nicht ausreichend. „Mein Sohn möchte einen ähnlichen Berufsweg einschlagen wie ich, er will Krankenpfleger werden. Er ist jetzt vierzehn, und in ganz Wien gibt es nur zwei Schulen für den Beruf. Eine davon ist privat. Das sind erstens zu wenige Schulen, und außerdem führen beide Schulen nur zur Fachassistenz, nicht zum Diplom, denn das wurde ja an die FH verlegt“, erklärt Mihajlovic. „Kein Wunder, dass es keinen Nachwuchs gibt, das ist kein ausreichendes Angebot für junge Menschen!“

Zur Person:

Ihre Freizeit verbringt Tomy Mihajlovic am liebsten mit ihrer Familie oder mit Freunden. Gemeinsam unternehmen sie z.B. Radausflüge. Sie reist auch sehr gerne. Für diesen Sommer, nach dem Abschluss ihrer Ausbildung, hat sie einen Urlaub in Griechenland geplant: „Zwölf Tage auf Naxos, ich glaube, das habe ich mir nach diesen zwei Jahren wirklich verdient!“

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