Marketinggag Patientenmilliarde – Außer Spesen nichts gewesen?  

Über 4.000 Beschäftigte aller Sozialversicherungsträger demonstrierten am 12.12.2018 vor der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) in der Wienerbergstraße gegen die Kassenfusion. „Die Patientenmilliarde ist ein Märchen!“, hieß es damals schon auf den Demotafeln.
Foto: Gewerkschaft GPA

Groß waren die Ankündigungen zur Zusammenlegung der Krankenkassen, dem Prestigeprojekt der ÖVP-FPÖ-Regierung im Jahr 2018. Eine Milliarde sollten durch Einsparungen in der Verwaltung für eine Verbesserung freigemacht werden. Nun gab die damals zuständige Ministerin Beate Hartinger-Klein zu, dass das nur ein „Marketing Gag gewesen ist“. Die Aussage kommt erwartbar, zeigt aber wie unverfroren damals die Öffentlichkeit belogen wurde.

Die Reform wurde 2018 beschlossen. Es wurden 21 Sozialversicherungsträger auf 5 zusammengelegt. Der größte Teil der Fusion war die Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen. Die Krankenversicherung hatte 2017 einen Verwaltungsaufwand von ca. 480 Mio., die Sozialversicherung insgesamt von 1,23 Mrd. Es war daher von Anfang an klar, dass man durch eine Fusion, die im Wesentlichen nur die Gebietskrankenkassen betraf, nie und nimmer 1 Milliarde einsparen konnte. Daher gab es auch nie nachvollziehbare Berechnungen, die diese „Patientenmilliarde“ irgendwie begründet hätten. Der Rechnungshof hat das schon 2018 kritisiert.  

Zur Analyse der Reform aus dem Jahr 2020

Sozialversicherung – Leistungen ausbauen statt Kosten senken

Die Sozialversicherung ist das Rückgrat des österreichischen Sozialstaats. Die Krankenversicherung ermöglicht 8,8 Millionen Menschen den Zugang zum Gesundheitswesen. Die Unfallversicherung versorgt über 6 Millionen Menschen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten und die Pensionsversicherung zahlt an über 2 Millionen Menschen eine Pension und hat ca. 4 Millionen pensionsversicherte Menschen. Die Sozialversicherung hat viel geringere Verwaltungskomponenten als private Versicherungen: 98 Prozent der Einnahmen gehen in die Leistung für Versicherte.

Die 2018 von ÖVP und FPÖ beschlossene Reform führte zu einer Schwächung der Sozialversicherung. Die Patientenmilliarde war von Anfang an eine Augenauswischerei. Es wurde Geld aus dem öffentlichen in das private Gesundheitssystem umgeleitet – die Fusion der 9 Gebietskrankenkassen und Betriebskrankenkassen wurde so durchgeführt, dass die neu entstandene ÖGK über weniger Mittel verfügt als die Summe der fusionierten Kassen. Auch der Unfallversicherung wurden durch wiederholte Beitragssenkungen enorme Mittel entzogen.

Bei der sogenannten Reform ging es in Wirklichkeit um eine Unterordnung der Sozialversicherung  unter die Kontrolle der Unternehmervertreter:innen. Obwohl in der ÖGK, PVA und AUVA Arbeitnehmer:innen versichert sind und keine Selbständigen, stellen die Arbeitgeber:innen die Hälfte der stimmberechtigten Mitglieder in den Entscheidungsgremien. Ohne Zustimmung der Wirtschaftskammerfunktionär:innen kann es in Sozialversicherungsträgern der Beschäftigten keinen Beschluss geben. Das ist ein seltsames Demokratieverständnis: Beschäftigte zählen anscheinend weniger als Unternehmer:innen. Das bewirkt eine Steuerung, die sich nicht an den Interessen der Versicherten, also jenen, die die Leistungen der sozialen Krankenversicherung brauchen und beziehen, sondern der Arbeitgeber:innen orientiert.

Rechnungshofbericht zur Fusion

2022 veröffentliche der Rechnungshof einen Bericht zur Fusion und den damit verbundenen Änderungen in der Sozialversicherung. Darin stellte er fest, „dass auch das Sozialministerium nicht begründen konnte, wie die angekündigten Einsparungen durch die Fusion der Sozialversicherungsträger hätten zustande kommen können.“ Aus dem RH-Bericht:  

„Bereits vor Beschluss des entsprechenden Gesetzes, dem Sozialversicherungs-Organisationsgesetz, kritisierten verschiedene Stellen, so auch der Rechnungshof, dass die errechneten Einsparungen nicht schlüssig waren.“ Weiter heißt es: “Die angestrebte Harmonisierung der Versicherungsleistungen wurde nur teilweise umgesetzt“.

Viel Geld für Beratungen

Die Prüfung ergab, dass die Fusion vor allem einen erheblichen Mehraufwand jedoch keine Einsparungen gebracht hat. Unter der FPÖ-Ministerin Beate Hartinger-Klein wurden um Millionenbeträge Beraterverträge vergeben.

„Die Rahmenvereinbarung für die Beratungsleistungen der ÖGK schloss das Sozialministerium ohne Bewertung der Konzepte und ohne Preisvergleich. Das größte Honorarvolumen für die Organisationsberatung hatte mit 10,60 Millionen Euro für die Jahre 2019 und 2020 die ÖGK.“

Bericht des Rechnungshofs 2022

Aus gewerkschaftlicher Sicht braucht es keine weiteren Einsparungen sondern:

Sichere, ausreichende und solidarische Finanzierung der Sozialversicherung. Der Mittelentzug aus dem Jahr 2018 muss zurückgenommen werden. Insbesondere die ÖGK ist unterfinanziert und muss eine solide finanzielle Basis bekommen.

Arbeitnehmer:innen müssen über ihre Sozialversicherung selbst bestimmen können. In den Leitungsgremien der Sozialversicherungsträger der Arbeitnehmer:innen müssen die Vertreter:innen der Beschäftigten wieder die Mehrheit stellen. Die regionale Selbstverwaltung und die Landesstellenausschüsse müssen gestärkt werden.

Die Gesundheitseinrichtungen der Sozialversicherung müssen weiterhin zu 100 Prozent im Eigentum der Sozialversicherung bleiben und sollen ausgebaut werden. Es darf zu keinen Privatisierungen kommen.


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