Die Grüne Wende bringt mehr Aufträge in Arbeitsbereichen, die bisher wenig im Fokus standen. Dass die davon betroffenen Beschäftigten dennoch auf ihre Kosten kommen, dafür sorgen die zwei Betriebsräte Roland Feistritzer und Manfred Gratzer bei Siemens.
„Heute sind wir eh den ganzen Tag im Zug“, sagt Roland Feistritzer. Gemeinsam mit seinem Kollegen Manfred Gratzer ist er am Weg nach Nürnberg. Eine günstige Gelegenheit die beiden viel beschäftigten Siemens-Betriebsräte für ein KOMPETENZ-Interview ans Telefon zu bekommen. Immerhin verhandeln sie derzeit den Kollektivvertrag der Elektro- und Elektronikindustrie mit.
Was sie in Nürnberg machen? Die beiden Techniker sind unterwegs zum jährlichen Treffen des Europäischen Betriebsrates, mit Vertretern aus 23 Ländern, von „Griechenland bis Norwegen und von Portugal bis Bulgarien“.
Bei den KV-Verhandlungen haben sie sich dafür eingesetzt, dass die rollierende Inflation in Form einer Lohn- und Gehaltserhöhung an die Beschäftigten der Elektro- und Elektronikindustrie weitergegeben wurde. Der Elektro-Kollektivvertrag betrifft rund 60.000 Beschäftigte in ganz Österreich. Hier geht es zum aktuellen Abschluss.
U-Bahnen, Reisezugwagen und und und
Sein Kollege Roland Feistritzer vertritt mit seinen Betriebsratskolleg:innen allein in Wien um die 3.300 Beschäftigte, 5.000 in ganz Österreich. Seit 20 Jahren engagiert sich der gebürtige Wiener im Betriebsrat. Aufgewachsen sei er in Hietzing. Weil der 13. Bezirk vor allem für seine wohlhabende Bevölkerung bekannt ist, betont er: „Aber ich habe im Gemeindebau gewohnt!“ Nach einer Schlosserlehre, der Werkmeisterschule und HTL in der Abendschule sei er bei der Siemens SGP Verkehrstechnik GmbH gelandet, „einem Traditionsbetrieb“, der auf Züge, Kran-, Getriebe- und Motorenbau spezialisiert war. „In bösen Zeiten,“ wie Feistritzer sagt, wurde dort auch für die Rüstungsindustrie gearbeitet. Das sei aber lange vor seiner Zeit gewesen. Das Unternehmen sei dann in der Siemens Mobility Austria GmbH auf- und Feistritzer mitgegangen. Heute beschäftige man sich an seinem Standort in der Wiener Leberstrasse vollumfänglich mit dem Bau von Zügen.
Am Standort in der Wiener Siemensstraße gehe es um Signaltechnik, Kundenservice und den Vertrieb von Zügen, etwa dem Cityjet, wie ihn die ÖBB fährt oder die Vectron Lokomotive und der Wiener U-Bahn, erklärt Roland Feistritzer. Am Grazer Standort hingegen werden Drehgestelle entwickelt, geplant und gefertigt.
Windparks & Photovoltaik
Unterwegs ist er mit seinem Betriebsratskollegen Manfred Gratzer aus der Steiermark, der bei der Siemens AG Österreich beschäftigt ist. Der gelernte Elektrotechniker habe Anfang der 1990er bei Elin Energieanwendungen angefangen, die später in der Siemens AG aufgegangen ist. Die Siemens AG sei heute in der Automatisierung und Digitalisierung der Industrie tätig, sowie von der Tunnelüberwachung bis hin zur Infrastruktur österreichischer Energieversorger. Man entwickle Industrie-Software für alles, was der Weltkonzern so anbiete, treibe die Digitalisierung voran. „Vor allem die Bereiche Energieeffizienz für Gebäudeinfrastruktur, sowie Energieversorgungseinrichtungen für die Einspeisung erneuerbarer Energien boomen“, erklärt Gratzer. Bevor er begann sich ausschließlich um die Vertretung seiner Kolleg:innen als frei gestellter Betriebsrat zu kümmern, war sein Bereich „Smart Infrastructure Electrification and Automation“ als Projektleiter im Bereich Mittelspannungs- und Niederspannungs-Anlagen, sowie Freileitungs- und Kabelbau. Für die weniger Technik-Affinen fasst es Gratzer nochmal so zusammen: „Ich durfte über 25 Jahre maßgeblich an der Erneuerung und Erweiterung der Energieversorgung in der Steiermark mitarbeiten.“ Besonders stolz mache ihn, dabei gewesen zu sein, als in den 2000er Jahren die ersten steirischen Windparks ans Netz gingen. Auch bei der Netzanbindung von Biogas- und den ersten großen Photovoltaikanlagen war Manfred Gratzer zentral eingebunden. Heute boomt sein Arbeitsbereich dank der Grünen Wende. Das sei im Arbeitsalltag spürbar – und nicht immer positiv.
„Aufgrund des großen Arbeitsvolumens und wegen der kurzen Projektlaufzeiten müssen wir darauf achten, dass der Workload für jeden einzelnen Beschäftigten nicht zu groß wird, oder sie sich im Home Office nahezu unkontrolliert selbst ausbeuten.“
Manfred Gratzer
Arbeitsverdichtung
Ähnlich läuft das in Roland Feistritzers Bereich: „Wir folgen dem Megatrend. Zugfahren wird immer attraktiver.“ Dementsprechend müssen mehr Züge produziert, geliefert und gewartet werden. Bei Reparaturen arbeite man mit der ÖBB zusammen. Aber auch für die Wartung alter Wiener Straßenbahnen etwa ist die Siemens Mobility Austria GmbH zuständig. Der Megatrend birgt aber Tücken: „Wir haben ein sehr hohes Auftragsvolumen, eine dementsprechende Arbeitsverdichtung. Der Fachkräftemangel ist für uns eine ziemliche Herausforderungen.“ Das präge den Arbeitsalltag der Kolleg:innen.
„Wir haben ein sehr hohes Auftragsvolumen, eine dementsprechende Arbeitsverdichtung. Der Fachkräftemangel ist für uns eine ziemliche Herausforderungen.“
Roland Feistritzer
Kaum anders klingt das bei Manfred Gratzer: „Aufgrund des großen Arbeitsvolumens und wegen der kurzen Projektlaufzeiten müssen wir darauf achten, dass der Workload für jeden einzelnen Beschäftigten nicht zu groß wird, oder sie sich im Home Office nahezu unkontrolliert selbst ausbeuten.“ Kein neues Problem, immerhin ist Gratzer schon seit 1998 im Betriebsrat tätig. Heute vertritt er als Betriebsratsvorsitzender seiner Niederlassung in Graz rund 560 und österreichweit als Konzernsprecher rund 9.300 Beschäftigte „Siemensianer“ wie er sie augenzwinkernd nennt.
Resilienz & Lehrlinge
Mit seinen Kolleg:innen im Betriebsrat kümmere er sich um Anfragen zu Arbeits- und Ruhezeiten oder Dienstreiseabrechnungen, wie sie häufig anfallen. Bei unterschiedlichen Auffassungen von Kollektivverträgen oder Betriebsvereinbarungen „gilt es sowohl Mitarbeitende als auch Führungskräfte zu beraten,“ so Gratzer. Er setze sich auch dafür ein, dass Leiharbeiter:innen in die Stammbelegschaft übernommen werden.
Auch schon zwanzig Jahre ist Roland Feistritzer beim Betriebsrat tätig, Anfang April wurde er als Zentralbetriebsratvorsitzender bestätigt. Der Schwerpunkt des Betriebsrats in Wien liege darin die hohe Arbeitsbelastung abzufangen, Stichwort: Resilienz. „Wir schauen, dass Leute sich gut freinehmen können, auch zum Sommer hin.“ Bei psychischen Belastungen versuche man präventiv zu agieren, erklärt Feistritzer. Dies sei mittlerweile genauso wichtig wie die klassische Arbeitsplatzsicherheit und langfristig eine der wichtigsten Aufgaben in der Betriebsratsarbeit. Nicht ganz ohne Stolz blickt er darauf zurück, was in der Sache schon erreicht werden konnte.
Für Manfred Gratzer sei der größte Erfolg des steirischen Betriebsrates die Einrichtung einer eigenen Ausbildungsstätte für die Niederlassung Graz. 24 Lehrlinge werden derzeit ausgebildet. „Und mit September kommen sieben Neue dazu,“ berichtet Gratzer.
Hast du schon einmal überlegt selbst einen Betriebsrat zu gründen?
Wenn es bei dir im Betrieb mindestens 5 Beschäftigte gibt, kann eine Betriebsratswahl stattfinden. Dein Chef/deine Chefin, darf die Wahl nicht behindern. Als Betriebsrätin/Betriebsrat hast du einen besonderen Kündigungsschutz und du kannst einen Teil deiner Arbeitszeit für die Betriebsratstätigkeit verwenden. Wir unterstützen und begleiten dich und deine KollegInnen bei der Durchführung der Betriebsratswahl.
Du möchtest mit uns darüber reden? Dann wende dich an unsere Beratung in deinem Bundesland. Alle Kontakte findest du hier: https://www.gpa.at/kontakt
Sport zum Ausgleich
Wenn die beiden Techniker frei haben, sind sie durchaus sportlich unterwegs. „In der Freizeit bin ich mit meiner Frau in der Natur und auf den Bergen, sowohl als Wanderer, als auch mit Fahrrad. Und im Winter stehe ich leidenschaftlich gerne auf Alpin-Skiern,“ sagt Manfred Gratzer. So hole er sich die Energie zurück.
Auch Roland Feistritzer ist ein Familienmensch und holt sich den Ausgleich beim Sport. „Laufen, Schnurspringen, alles, was man relativ einfach machen kann. „Aber nicht auf dem Niveau wie der Manfred,“ lacht der Wiener. Zumindest die kommenden zwei Tage in Nürnberg wird für all das wenig Zeit sein. Beim Siemens-Europa-Betriebsrat gibt’s sicher wieder viel zu besprechen.