Warum der Hausverstand gegen eine Investitionsbremse ist

Foto: Adobe Stock, Thomas Reimer

ÖVP, FPÖ und Neos wollten im Herbst 2019 per Verfassungsbestimmung den Staat in seinen Gestaltungsmöglichkeiten einschränken. Die Bestimmung dazu nennen sie Schuldenbremse. SPÖ und Grüne haben das im Nationalrat und Bundesrat abgelehnt.

Da diese Bestimmung auch die Länder einschränkt, wäre auch im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit nötig gewesen. Die Schuldenbremse kommt nun also nicht in die Verfassung. Und das ist gut so. Denn die Schuldenbremse ist wohlstandsmindernd, wenn sie eine Investitionsbremse wird. Das zeigen schlechte Erfahrungen mit der Schuldenbremse aus Deutschland. Auch die US-amerikanische Schuldenbremse, die alle Jahre zur vorübergehenden Schließung öffentlicher Einrichtungen führt, ist alles andere als Ausdruck des Hausverstands.

Was war der Vorschlag?

Die Verfassungsbestimmung hätte das Defizit des Bundes mit maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) begrenzt, jenes der Länder und Gemeinden insgesamt mit höchstens 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Als einfaches Gesetz gilt die Schuldenbremse bereits wegen des EU-Stabilitätspakts und wurde 2011 in das Bundeshaushaltsgesetz aufgenommen.

Stimmt es, dass man nicht mehr ausgeben kann als man einnimmt?

Für ÖVP-Klubchef August Wöginger und Ex-Finanzstaatssekretär Hubert Fuchs ist die Schuldenbremse ein Ausdruck von „Hausverstand“, da man nicht mehr ausgeben könne, als man einnimmt. Aber stimmt das?

Wenn man nicht mehr ausgeben könnte als man einnimmt, wäre vieles auf der Welt nicht möglich.

  1. Es gäbe keine Kredite. Denn jeder, der einen Kredit aufnimmt und das Geld für eine Anschaffung ausgibt, hat mehr ausgegeben als er eingenommen hat.
  2. Es gäbe keine Banken und keinen Finanzsektor. Deren Kernaufgabe ist die Kreditvergabe und Anbieten von Sparmöglichkeiten.
  3. Es gäbe kaum Unternehmensneugründungen. Wer eine Geschäftsidee hat, braucht ein Startkapital. D.h. ohne anfängliche Schulden gibt es keine wirtschaftliche Dynamik. Innovationen gibt es nur mit Unternehmern, die Finanzierung bekommen.
  4. Ohne Schulden gäbe es keine Zinsen für SparerInnen. Zinsen für Ersparnisse kann es nur geben, wenn den SparerInnen Schuldner gegenüberstehen, die Geld ausborgen und dafür Zinsen zahlen.

Diese Aufzählung zeigt, dass es natürlich möglich ist, mehr Geld auszugeben, als man einnimmt. Die nächste Frage ist, ob das auch vernünftig ist. Da kommt es darauf an, wofür man sich verschuldet. Relativ unstrittig ist das bei Investitionen. Wenn Investitionen sinnvoll sind und man sie nicht gleich voll finanzieren kann, macht es Sinn, sich für die Finanzierung einen Teil zu borgen. Das machen Unternehmen, private Haushalte und eben auch der Staat.

Finanzieren um zu Investieren

Private Haushalte verschulden sich etwa um ein Eigenheim zu finanzieren. Und das ist klug – denn den Schulden steht ein Sachvermögen gegenüber. Es kommt darauf an, was man mit dem geliehenen Geld macht. Baut man ein Haus, schafft man einen entsprechenden Vermögenswert, der beispielsweise auch Kindern hinterlassen werden kann. Dasselbe Prinzip gilt für einen Staat: Finanziert man mit den Schulden Investitionen, von denen viele Generationen profitieren, dann ist das generationsgerecht und sinnvoll. Wer Investitionen in moderne Krankenhäuser oder schnellere Eisenbahnverbindungen und Klimaschutz tätigt, hinterlässt künftigen Generationen eine lebenswerte und intakte Gesellschaft. Wer hingegen bei Investitionen spart, schadet künftigen Generationen.

Hinzu kommt, dass es beim derzeitigen geringen Zinsniveau besonders günstig ist, Investitionen zu finanzieren. Auch private Unternehmen setzen bei Investitionen Kredite ein. Das Dogma keine Schulden zu machen, gilt bei Unternehmern nicht, denn diese denken ökonomisch. Ein Unternehmen wird dann eine Investition fremdfinanzieren, wenn die erwartete Rendite über den Finanzierungskosten liegt. Dieselbe Logik sollte auch für öffentliche Investitionen gelten: Liegt der gesellschaftliche Nutzen über den Finanzierungskosten, sollten diese finanziert werden. Der Staat Österreich kann sich derzeit so günstig finanzieren wie noch nie. Wer da Finanzierung durch Schuldengrenzen stark einschränkt, verhindert auch die Durchsetzung von sinnvollen Projekten.

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Investitionen versus laufende Ausgaben

Öffentliche Investitionen schaffen Werte, die Bestand haben. Wenn man diese per Staatsverschuldung finanziert, wachsen nicht nur die öffentlichen Schulden, sondern auch das öffentliche Vermögen. Ist das Zinsniveau niedrig, steigen die Vermögen sogar stärker als die Schulden. Eine Schuldenquote nimmt aber keine Rücksicht darauf, wofür die Verschuldung eingegangen wird. 

Nicht sinnvoll ist es dagegen laufende Ausgaben für Pensionen, Familienbeihilfen oder etwa die Beamtenbezüge durch Kredite zu finanzieren. Laufende regelmäßige Ausgaben sollen durch laufende Einnahmen aus Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen finanziert werden.

Anders verhält es sich bei Investitionen. Ein Projekt wie den Semmeringtunnel aus dem laufenden Budget zu finanzieren, wäre nicht möglich. Hätte man die österreichische Infrastruktur ohne Kreditaufnahmen finanzieren wollen, hätten wir heute keine Autobahnen oder Hochgeschwindigkeitsbahnen. Die GPA-djp fordert daher, dass öffentliche Zukunftsinvestitionen wie Infrastrukturmaßnahmen aus den Defizitregeln ausgenommen werden.

Gegensteuern

Die Wirtschaft entwickelt sich nicht gleichmäßig. Phasen hohen Wachstums wechseln mit Perioden schwachen Wachstums oder gar Einbrüchen der Wirtschaftsleistung. Es ist Aufgabe der Wirtschaftspolitik mit öffentlichen Ausgaben Einbrüchen gegenzusteuern.  

Eine starre Schuldenbremse verhindert, dass Staaten einer Wirtschaftskrise wirksam gegensteuern können. Somit ist die Bremse das Gegenteil von wirtschaftspolitischer Vernunft. In einer Krise sinken die Steuereinnahmen und die Ausgaben steigen wegen steigender Arbeitslosigkeit an. Wenn nun der Staat aufgrund einer Schuldenbremse die Ausgaben weiter kürzt, verschärft er die Wirtschaftskrise: Folglich schrumpft die Wirtschaft und noch mehr Menschen verlieren ihre Arbeit. Die Schuldengrenze kann dann aber trotzdem nicht eingehalten werden. Denn mit der schrumpfenden Wirtschaft sinken auch die Steuereinnahmen noch weiter.

Logik kann man nicht abschaffen

Auch eine Schuldenbremse in der Verfassung kann solche wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht außer Kraft setzen. Da der Staat zwar die Budgets beschließen kann, aber nicht die Höhe des Wirtschaftswachstums und die Höhe des BIP, ist die Schuldenquote (Relation öffentlicher Schulden zum BIP) nur begrenzt steuerbar. Es macht daher wenig Sinn Größen in der Verfassung zu fixieren, die die Politik nicht in ihrem Einflussbereich hat.

Man kann in die Verfassung auch schreiben, dass jeden zweiten Tag gutes Wetter herrschen muss, nur wird das deswegen nicht eintreten. Zusammenhänge, die auch ohne unser Wohlwollen gelten, können wir nicht außer Kraft setzen.

Die negative Wirkung starrer Regelungen zeigt die Schuldenbremse in den USA. Diese führt in schöner Regelmäßigkeit dazu, dass die gesetzlichen Grenzen für die Schulden erhöht werden müssen. Bis es dazu kommt, werden öffentliche Einrichtungen geschlossen („Shutdown“) und die Parteien erpressen sich gegenseitig. Das endet meist teuer und die Schulden steigen stärker als sie sich ohne die Schuldenbremse entwickelt hätten.

Ausgewogene Wirtschaftspolitik

Eine den vielfältigen gesellschaftlichen Anforderungen entsprechende Wirtschafts- und Finanzpolitik muss sich am wirtschaftspolitischen Vieleck aus Lebensqualität, Verteilungsgerechtigkeit, stabiler Staatstätigkeit, Vollbeschäftigung, intakter Umwelt, Außenhandelsgleichgewicht, Preisstabilität und stabilen Finanzmärkten orientieren. Eine Schuldenbremse garantiert dies nicht und führt wieder zu einer einseitigen wirtschaftspolitischen Architektur, die Krisen nicht verhindern und nicht bewältigen kann.

Es war ein Riesenfehler (vor der Finanzkrise 2008), dass die EU Wirtschaftspolitik nur auf niedrige Inflation und Begrenzung der Staatsschulden (Maastrichtkriterien) ausgerichtet war. Dem lag die absolut falsche Vorstellung zu Grunde, dass eine niedrige Inflation und niedrige Staatsdefizite eine stabile Wirtschaft garantieren. Die Finanzkrise 2008 zeigte, wie weit weg von der Realität das war. Besonders stark von der Finanzkrise betroffen waren Staaten, die eine sehr niedrige öffentliche Verschuldung hatten, wie Irland, Spanien und die baltischen Staaten. Warum das? Weil niemand auf die private Verschuldung geachtet hat. Der Anstieg der privaten Verschuldung (Immobilienblase Spanien, Immobilien- und Bankenkrise Irland) führte zur größten Finanzkrise der letzten Jahrzehnte. Eine Staatsschuldenbremse hätte daher gar nichts zur Vermeidung der Finanzkrise beigetragen. Sie hätte aber verunmöglicht, die Krise abzufedern und gegenzusteuern.

Bankenrettungen und Konjunkturpakete verhinderten einen Totalabsturz der Wirtschaft. Mit der Schuldenbremse wäre das nicht möglich gewesen. Das ist alles andere als vernünftig!

Wirtschaft stabilisieren statt destabilisieren

Wenn durch Schuldenbremsen wieder nur die öffentliche Verschuldung begrenzt wird, aber nicht die private, macht man denselben Fehler, die Wirtschaft völlig einseitig zu regeln und große Risken auszublenden. Kommt es dann wieder zu einer Finanz- und Wirtschaftskrise, die vom Finanzsektor ausgeht, sind die Staaten wegen der Schuldenbremse nicht mehr in der Lage effektiv gegenzusteuern. Das ist verantwortungslos.

Es gibt bereits mehr als genug Schuldenbremsen

Die Maastrichtkriterien, der Stabilitäts- und Wachstumspakt, Twopack, Sixpack und der Fiskalpakt sehen alle Begrenzungen der öffentlichen Schulden vor. Diese wurden im Lauf der Jahre immer strikter. 

Staatsschulden sind keine Ausnahmesituation, sondern Teil der wirtschaftlichen Normalität. Dazu gibt es mehrere Erklärungsansätze. Für Neoliberale ist die Sache relativ klar: Staaten und PolitikerInnen sind notorische Verschwender. Daher sind strikte Verschuldungsregeln der einzige Ausweg aus der Verantwortungslosigkeit.

Eine andere und serösere Sichtweise gliedert die Wirtschaft in verschiedene Sektoren und betrachtet diese im Zusammenhang. Sektoren, die mehr einnehmen als sie ausgeben, müssen zwangsläufig Sektoren mit einem Finanzierungsdefizit gegenüberstehen. In Summe gleichen sich Überschüsse und Defizite aus.

Wenn alle Sektoren gleichzeitig einen Einnahmeüberschuss anstreben, ist das der gerade Weg in wirtschaftliche Schrumpfung und Depression.

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