Nicht mehr als zwei 12-Stunden-Tage hintereinander

Gerhard Blasche, geb. 1963 in Wien, ist Psychologe und Psychotherapeut. Nebenbei forscht er zur Frage, wie arbeitsbedingte Ermüdung durch Erholungsaktivitäten wieder abgebaut werden kann.
Foto: Nurith Wagner-Strauss

Der Psychologe Gerhard Blasche unterstreicht im KOMPETENZ-Interview die Wichtigkeit von Pausen und Freizeit für das Wohlbefinden und die Gesundheit.

KOMPETENZ: Arbeitszeit, individuelle Belastung, aber auch Leistungsfähigkeit einerseits, und Produktivität in einem Unternehmen andererseits: das hängt alles zusammen. Sie forschen seit vielen Jahren zu diesem Themenkomplex. Wie sieht die eine ideale Arbeitszeitgestaltung aus?

Gerhard Blasche: Das kann man nicht allgemein sagen, aber grundsätzlich wäre eine Verflechtung von Arbeit und Erholungsphasen ideal, beispielsweise vier Stunden Arbeit am Vormittag, eine lange Mittagspause von eineinhalb bis zwei Stunden und dann noch einmal vier Stunden Arbeit. Dann hat man ausreichend Erholung auch im Verlauf der Arbeit, sodass man produktiv sein kann und auch das Wohlbefinden noch erhalten ist. Es hängt aber von verschiedenen Nebenfaktoren ab. Je nachdem, ob ich kleine Kinder zu Hause oder andere Betreuungspflichten habe, wissen wir, dass die ideale Arbeitszeit sehr unterschiedlich sein kann. Das wird leider zu wenig in der Arbeitszeitgesetzgebung berücksichtigt.

KOMPETENZ: Die Rahmenbedingungen haben sich mit der im September in Kraft getretenen Arbeitszeitflexibilisierung massiv geändert. Wie werden sich diese auf den Einzelnen auswirken?

Gerhard Blasche: Wir wissen, dass nach der neunten Arbeitsstunde die Unfallhäufigkeit und die Ermüdung zunehmen und die Produktivität abnimmt. Der 12-Stunden-Tag ist also nicht das Ideal, obwohl er sich in manchen Branchen etabliert hat, wie etwa in der Pflege. Dafür gibt es dort längere Freizeitblöcke. Es geht aber auch um die Planbarkeit von Arbeit. Sie ist ein wichtiger Faktor. Je mehr ich etwas vorhersagen kann, desto weniger stressig ist es. Wenn ich nicht planen kann, ist das belastend. Noch gravierender wird es, wenn Betreuungspflichten dazukommen. Ein, zwei Stunden mehr zu arbeiten, ist vielleicht für eine kleine Gruppe von Personen, die keine Verpflichtungen haben, ein Vorteil. Aber als allgemeines Modell ist es problematisch, denn der Einzelne kann sich schlecht wehren.

KOMPETENZ: Was sind die gesundheitlichen Auswirkungen von täglich unterschiedlichen Arbeitszeiten, die ich auch nicht planen kann?

Gerhard Blasche: Wenn ich zu etwas verdonnert werde, was ich nicht will, werden mehr Stresshormone ausgeschüttet und man geht auch mit einem gewissen Ärger nach Hause, kann schlechter einschlafen. Es leidet das Wohlbefinden, aber auch die Erholungsfähigkeit. Geht das über Wochen und Monate so, wird es die Gesundheit zu beeinträchtigen beginnen.

KOMPETENZ: Was ist nötig, um einzelne 12-Stunden-Tage aus gesundheitlicher Sicht abzufedern?

Gerhard Blasche: Im Rahmen einer Studie an der Medizinuni Wien haben wir festgestellt, dass der 12-Stunden-Tag dazu führt, dass ich am Tagesrand so gut wie keine Freizeit mehr habe. Freizeit ist aber wesentlich für die Erholung. Nach zwei aufeinanderfolgenden 12-Stunden-Tagen braucht man bereits drei Tage, um sich zu erholen, also länger als ein Wochenende.

„Nach zwei aufeinanderfolgenden 12-Stunden-Tagen braucht man bereits drei Tage, um sich zu erholen.“

Gerhard Blasche, Freizeitforscher

KOMPETENZ: Was bedeuten mehrere 12-Stunden-Tage hintereinander für ArbeitnehmerInnen?

Gerhard Blasche: Dazu gibt es nur wenige Studien, die aber alle zeigen, dass es dann einen noch höheren Erholungsbedarf gibt. Bei vier bis fünf 12-Stunden-Tagen braucht es mehr als drei Tage, um sich zu erholen.
Sie betonen die Wichtigkeit von Pausen innerhalb eines Arbeitstages und dabei von aktiv gestalteten Pausen etwa mit Bewegung.

KOMPETENZ: Inwiefern trägt eine aktive Pause mehr zur Erholung bei als etwa eine Pause, in der man isst oder sich mit KollegInnen unterhält?

Gerhard Blasche: Laut einer unserer jüngsten Untersuchungen macht es einen Unterschied, ob ich körperlich aktiv bin oder ein Entspannungstraining mache oder eine normale Pause mache. Und wir haben dabei festgestellt, körperliche Aktivität oder Entspannung verlängern die Pausenwirkung, ich bin weniger müde. Bei der körperlichen Aktivität geht es nicht um Extremsport, sondern zum Beispiel darum, ein bisschen flotter um den Häuserblock zu marschieren.

Ungefähr zehn Prozent der Arbeit sollte Pausenzeit sein.“
Gerhard Blasche, Freizeitforscher
Fotos: Nurith Wagner-Strauss

KOMPETENZ: Was müsste sich an den Rahmenbedingungen ändern, damit ArbeitnehmerInnen das Konzept einer bewegten Pause auch umsetzen?

Gerhard Blasche: Grundsätzlich tendieren wir dazu, wenig Pausen zu machen. Wenn man konzentriert arbeitet, hat die Arbeit ein bisschen etwas Hypnotisches, und wir vergessen, dass wir müde sind. Viele Menschen machen Pause, weil sie eine Zigarette rauchen oder sich belohnen wollen. Es wäre aber nötig, Pausen in den Köpfen als Maßnahme der Erhaltung der Gesundheit zu etablieren. Da braucht es einen Bewusstseinswandel. Früher war Arbeit mehr angeleitet und da waren Pausen verordnet. Da wurde das Fließband angehalten. Jetzt ist die Arbeit viel individualisierter und wir vergessen auf Pausen. Das ist für die Erholung schlecht. Da braucht der Einzelne eine geänderte Einstellung, aber auch der Betrieb müsste hier im Sinn der Prävention an Pausen erinnern. Ungefähr zehn Prozent der Arbeit sollte Pausenzeit sein.
Arbeit ist das eine, doch das Leben ist mehr. Betreuungspflichtige Kinder oder zu pflegende Angehörige sind oft weitere Herausforderungen.

KOMPETENZ: Wie potenziert sich hier die Belastung durch unberechenbarere Arbeitszeiten?

Gerhard Blasche: Eine australische Studie hat den Punkt errechnet, an dem es kippt, an dem Mehrarbeit das Wohlbefinden reduziert. Die ideale Wochenarbeitszeit für Frauen mit Betreuungspflichten liegt demnach bei 32, 33 Stunden, für Männer bei 39 Stunden. Menschen ohne Betreuungspflichten können etwas über 40 Stunden arbeiten, ohne dass das Wohlbefinden leidet.

KOMPETENZ: Seitdem das Arbeitszeitgesetz in Kraft ist, heißt es: So schlimm, wie die Gewerkschaften die Zukunft skizziert haben, sieht es doch gar nicht aus. Wie lange dauert es, bis nicht nur der Einzelne, sondern eine Gesellschaft solche Änderungen spürt?

Gerhard Blasche: Ich möchte nicht allen Firmen pauschal unterstellen, das Arbeitszeitgesetz auszureizen. Aber es wird sicher Firmen geben, die die neue Regelung ausnutzen. Und dann kann es sein, dass Leute kündigen oder andere vermehrt in Krankenstand gehen. Das sind Prozesse, die man etwa nach einem Jahr zum Beispiel anhand von Krankenständen ablesen kann.

KOMPETENZ: Wie fühlt man sich als Experte, der seit Jahren zu dem Thema forscht und klare Empfehlungen abgibt, und die Regierung das beiseite wischt und nur den Wünschen der Unternehmen entspricht?

Gerhard Blasche: Meine Kollegen hier an der Uni im Bereich Umwelthygiene beschäftigen sich mit Lärm, Luftschadstoffen, Gerüchen. Sie machen Gutachten, sprechen Empfehlungen aus. Dann führt das zu Änderungen bei den behördlichen Auflagen. Das ist im Bereich der Arbeit schwieriger, weil da so viele Player dabei sind mit unterschiedlichen Interessen. Wie fühlt man sich? Gefragt hat mich niemand von der Regierung oder der Wirtschaftskammer. Das finde ich schade.

Zur Person

Gerhard Blasche, geb. 1963 in Wien, ist Psychologe und Psychotherapeut. Er ist sowohl als Therapeut als auch als Wissenschafter tätig. Am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien forscht er zur Frage, wie arbeitsbedingte Ermüdung durch Erholungsaktivitäten wieder abgebaut werden kann. www.blasche.at

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