Konsenssüchtig aber nicht konfliktscheu

Michael Aichinger, Zentralbetriebsratsvorsitzender der Österreichischen Gesundheitskasse ÖGK und Vorsitzender des Wirtschaftsbereichs Sozialversicherung in der GPA-djp.
Foto: Daniel Novotny

Michael Aichinger, Zentralbetriebsratsvorsitzender der Österreichischen Gesundheitskasse ÖGK und Vorsitzender des Wirtschaftsbereichs Sozialversicherung in der GPA-djp versucht Problemlagen immer von verschiedenen Seiten aus zu betrachten und fordert diese Empathie auch von der Arbeitgeberseite.

Aktuell kämpft er unter anderem mit Nachdruck für eine spürbare Prämie für alle Beschäftigten der Sozialversicherungen, die das Gesundheitssystem während der Covid-19 Krise am Laufen halten und für einen fairen und anständigen Gehaltsabschluss.

Michael Aichinger ist ein zielstrebiger Macher mit dem Blick für die Bedürfnisse der Menschen. Als Sohn einer klassischen Arbeiterfamilie wuchs in ihm das Interesse eine HTL zu besuchen. Doch die Eltern drängten ihn aus finanziellen Gründen dazu, möglichst rasch ins Berufsleben einzusteigen. „Also bin ich bei der Firma Elin gelandet, wo auch mein Vater als Mechaniker beschäftigt war, und habe Industriekaufmann gelernt“, erzählt Aichinger. Nach dem Abschluss der Lehre als Industriekaufmann half er auch in den Werkstätten mit, wo weit über 1.000 Arbeiter und 200 Angestellte beschäftigt waren. In diesem Umfeld bildete sich sein Interesse, andere zu unterstützen, heraus. Auch der Vater war Betriebsrat bei der Elin. Bereits 1979 wurde Aichinger Jugendvertrauensrat, seit 1980 engagiert er sich in verschiedenen Funktionen bei der GPA-djp.

„Ich kümmere mich wirklich gerne um die Anliegen der Menschen, es liegt mir am Herzen zu helfen und es bereitet mir tatsächliches Unbehagen, wenn ich nicht weiterhelfen kann“

Michael Aichinger

„Ich hatte ständigen Kontakt mit KollegInnen von der GPA-djp, es war die Gemeinschaft, die mir dort gefallen hat, und auch das Arbeiten für die Menschen“, erzählt der Gewerkschafter. Diese Begeisterung hat sich bis heute erhalten und Aichingers raschen Aufstieg zum Arbeitnehmervertreter begünstigt: „Ich kümmere mich wirklich gerne um die Anliegen der Menschen, es liegt mir am Herzen zu helfen und es bereitet mir tatsächliches Unbehagen, wenn ich nicht weiterhelfen kann“, erklärt er.

Seine Kompromissfähigkeit und Harmoniebedürftigkeit wurde Aichinger bereits öfters als Schwäche ausgelegt, was ihn aber nicht weiter stört: „Ich bin konsenssüchtig aber nicht konfliktscheu, das sollte man nicht verwechseln.“

Einsatz für bessere Bedingungen in der Sozialversicherung

Nach 14 Jahren als Betriebsratsvorsitzender der Wiener Gebietskrankenkasse vertritt Aichinger heute in seiner Funktion als Vorsitzender des Zentralbetriebsrates die Interessen der 13.000 Angestellten der Österreichischen Gesundheitskasse. Als Vorsitzender des Wirtschaftsbereiches Sozialversicherung tritt er als Chefverhandler der Arbeitnehmerseite in den Kollektivvertragsverhandlungen auf und kämpft so für bessere Bedingungen für alle 28.000 Beschäftigten der Sozialversicherung.

Den Umgang mit dieser Machtfülle und die Bedeutung guter Zusammenarbeit hat Aichinger auch als SPÖ-Bezirksrat im 10. Wiener Gemeindebezirk gelernt: „Ich bin in ständigem Austausch mit Gesundheitsstadtrat Peter Hacker und Bürgermeister Michael Ludwig um die Gesundheitsversorgung der Menschen in Favoriten weiter zu optimieren. Die beiden haben sich als verlässliche Verbündete erwiesen, wenn es darum geht, auf Veränderungen, Probleme und Notwendigkeiten im Bezirk zu reagieren.“

Foto: Daniel Novotny

Es gibt immer mehr als „eine“ Meinung

Sich sozialpolitisch weiterzubilden war schon immer ein wichtiger Antrieb für den Wiener. 1983 war Aichinger der jüngste Teilnehmer der gewerkschaftlichen Sozialakademie, ein Wegbereiter für andere junge Kollegen, die bereit waren, sich gewerkschaftlich zu engagieren. So reifte in ihm der Wunsch, „für eine Gemeinschaft zu arbeiten, nicht in einem auf Gewinn ausgerichteten Betrieb“. 1985 erhielt Aichinger die Chance, bei der Wiener Gebietskrankenkasse anzufangen und brachte sich dort von Beginn an gewerkschaftlich ein, teils auch ohne eine konkrete Funktion inne zu haben. Parallel zu seiner Tätigkeit absolvierte er in seiner Freizeit ein Jusstudium – im zweiten Bildungsweg via Studienberechtigungsprüfung: „Im Studium habe ich gelernt, dass es zu verschiedenen Themenkomplexen nicht immer nur EINE korrekte Meinung gibt, sondern vielfältige Erklärungsansätze. Das habe ich für mein Leben mitgenommen – man muss eingefahrene Denkmuster ständig hinterfragen.“

An sozialpolitischen Herausforderungen mangelt es derzeit nicht. In der ÖGK muss Aichinger die – nach der Voest – größte Fusion im öffentlichen Bereich, begleiten und mit gestalten. „Wir versuchen, aus neun verschiedenen Kulturen eine zu formen. Das Problem ist der Zeitdruck, unter dem dies geschehen soll“, versucht der Gewerkschafter „die Vorgaben ohne klar definierte Strukturen und in einer unsicheren finanziellen Situation“ bestmöglich im Sinne der KollegInnen mit zu gestalten.

„Unseren Kollektivvertrag scheibchenweise zu verschlechtern ist kontraproduktiv und zerstört die hohe Motivation der Beschäftigten“

Michael Aichinger

Betriebsräte arbeiten eng zusammen

Die Zusammenarbeit zwischen den Landesstellen funktioniert dabei auch interfraktionell bestens. „Alle BetriebsrätInnen der Sozialversicherung sind gut miteinander vernetzt und haben ein gutes Einvernehmen. Wir ziehen alle an einem Strang und dafür bin ich allen dankbar“, so Aichinger.

Dennoch sei Vorsicht geboten, um eine schleichenden Verschlechterungen des Dienstrechtes durch die Zusammenführung und Umstrukturierung der gesamten Sozialversicherung zu verhindern. „Unseren Kollektivvertrag scheibchenweise zu verschlechtern ist kontraproduktiv und zerstört die hohe Motivation der Beschäftigten“, kritisiert Aichinger ein „falsch verstandenes Machtverständnis“ bei manchen Arbeitgebervertretern, die „ein gut funktionierendes System scheinbar von innen zerstören wollen.“

Die Machtverhältnisse hätten sich in den letzten Jahrzehnten verändert. „Die ArbeitnehmervertreterInnen wurden per Gesetz entmachtet, den Krankenversicherungen wurden ganz bewusst Finanzmittel entzogen. Man spürt den Druck in Richtung Privatisierung gewinnbringender Unternehmensteile“, will Aichinger verhindern, dass die kostenaufwendige Basisversorgung in der allgemeinen Sozialversicherung bleibt, während profitable Geschäftsfelder an Private ausgelagert würden.

Viele Bedienstete hätten aktuell Angst um ihren Arbeitsplatz. „Diesem künstlich erzeugten Druck stellen wir uns ganz bewusst mit der Forderung entgegen, unsere MitarbeiterInnen für ihre erstklassige Arbeit auch angemessen zu entlohnen“, fürchtet Aichinger um den Zusammenhalt: „Wir sind eine Familie, wir sind extrem stark mit dem hervorragenden System der Gesundheitsversorgung verbunden. Wenn die Frustrationen und Überlastungen weiter andauern und die Perspektiven fehlen, steht das System vor dem Umbruch.“

Wichtig wäre laut Aichinger ein Mehr an Information über die Sozialversicherung in der Öffentlichkeit, grundlegende Infos müssten bereits an den Schulen vermittelt werden: „Statt dessen haben die Arbeitgebervertreter durchgesetzt, dass die SchülerInnen über die Funktionsweise der Börse unterrichtet werden.“

Frustration bei Beschäftigten ist hoch

Die Frustration unter den Beschäftigten sei hoch. „Seit Beginn der Covid-19 Krise halten das Gesundheitspersonal und die Verwaltung eng zusammen und leisten extrem tolle Arbeit. Sie alle sind aus Überzeugung für unsere Versicherten da und halten das Gesundheitssystem aufrecht“, versteht Aichinger nicht, warum die Chefverhandler der Arbeitgeberseite zu keiner finanziellen Anerkennung dieser Leistungen bereit sind. „Wir wollen eine Prämie für die HeldInnen des Gesundheitssystems, für alle Personengruppen, die während der Krise besondere Leistungen für die Allgemeinheit vollbracht haben.“

Eine Verknüpfung des Prämienwunsches mit der Gehaltsrunde lehnt Aichinger ab: „Die Menschen leisten Großartiges und das muss auch entlohnt werden.“ Auffällig sei die fehlende Professionalität auf der Arbeitgeberseite: „Ich erwarte mir eine gewisse Empathie für die Bedürfnisse und Notwendigkeiten der Gegenseite, sonst steuern wir auf einen Konflikt zu.“

Zur Person:

Michael Aichinger ist 57 Jahre alt, verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und lebt in Wien. In seinem Heimatbezirk Favoriten engagiert er sich kommunalpolitisch, seit 2018 ist er als Landtagsabgeordneter der Wiener SPÖ tätig. Er hat sein Jusstudium im zweiten Bildungsweg absolviert und ist seit 1985 in der Sozialversicherung beschäftigt. Entspannung findet der Katzenbesitzer am besten durch Bewegung an der frischen Luft.

Scroll to top