Vier Tage arbeiten, drei Tage frei. Das mag in der Kreativbranche funktionieren, aber klappt das auch im Handwerk? Die deutsche Firma Ruchti hat’s versucht.
Wenn bei Firma Ruchti nichts mehr hilft, dann müssen James Bond und Bruce Willis herhalten. Zum geplanten Kinostart des neuen „007“-Streifens im März 2020 produzierte der baden-württembergische Handwerksbetrieb eigens einen Werbespot. Mit der Synchronstimme von Bruce Willis sollte das neue Arbeitszeitmodell der Firma beworben werden: 4 Tage arbeiten, 3 Tage frei, bei vollem Lohnausgleich. Sollte. Denn dann kam Corona, die Kinos blieben zu, Bruce Willis stumm. Aber die 4-Tage-Woche kam trotzdem. Rückblickend eine gute Entscheidung? „Jein“, sagt Geschäftsführer Bernd Röck.
Zum Thema Arbeitszeitverkürzung existieren Dutzende wissenschaftliche Studien, aufwendige Kalkulationen zu möglichen Effizienzsteigerungen, gesundheitlichen Kosten und Finanzierbarkeit diverser Modelle – Studien, die Ruchti-Chef Röck alle nicht gelesen hat. „Denn hätte ich mir das vorher alles durchgerechnet, hätte ich das nicht gemacht“, sagt er heute. „Das war mehr so eine Augen-zu-und-durch-Entscheidung“.
Verlängertes Wochenende steigert physische und psychische Gesundheit
Für ihn stand einerseits die „Work-Life-Balance“ seiner MitarbeiterInnen im Vordergrund. Andererseits mangelt es gerade bei Auftragsspitzen in seinem gut 80 Personen zählenden Betrieb oftmals an Personal. Für Röck, der in seiner Firma unter anderem SchreinerInnen, SchlosserInnen, MalerInnen und LackiererInnen beschäftigt, ist „Fachkräftemangel“ wahrlich kein Fremdwort.
Dementsprechend offensiv wurde das neue Arbeitszeitmodell zum Start beworben. Auf der Website der Firma findet sich noch heute keine Unterseite und kein Stellenangebot, wo die 4-Tage-Woche nicht hervorgehoben wird. Anfangs durchaus mit Erfolg: die 40 Bewerbungen, die bei Ruchti zuvor jährlich eingingen, kamen nun pro Woche.
Menschen brauchen Zeit, um sich von physisch und psychisch anstrengenden Tätigkeiten zu erholen. Mehr Zeit, als ihnen oftmals zur Verfügung steht. Eine Arbeitszeitverkürzung ist daher eine seit Jahren von verschiedensten Seiten vorgebrachte und breit diskutierte Forderung. Im Juli sorgte ein groß angelegter Versuch in Island für mediales Aufsehen. 2.500 Beschäftigte (1,3 Prozent der isländischen Bevölkerung) wechselten ohne Gehaltskürzung für fünf Jahre in den 4-Tage-Modus und arbeiteten statt bisher 40 nunmehr 36 bzw. 35 Stunden. Die TeilnehmerInnen gaben an, sie fühlen sich seither fitter, gesünder, glücklicher und waren weniger anfällig für Burnout oder Stresssymptome. Männer in heterosexuellen Beziehungen übernahmen mehr unbezahlte Heimarbeit.
Laut den ForscherInnen seien die Ergebnisse zudem „bahnbrechende Beweise für die Effizienz von Dienstzeitreduzierung“. Denn die Produktivität der TeilnehmerInnen sei gleichgeblieben, teilweise sogar gestiegen.
Letzte Arbeitszeitverkürzung liegt in Österreich 46 Jahre zurück
WissenschafterInnen verweisen zudem auf die ökologischen Auswirkungen einer Arbeitszeitverkürzung: Aufgrund des verringerten PendlerInnen-Verkehrs könnten in Österreich durch die flächendeckende Einführung einer 4-Tage-Woche jährlich 250.000 Tonnen CO2 eingespart werden, errechneten VolkswirtInnen des ÖGB . ExpertInnen sehen darin außerdem eine Möglichkeit, in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit Menschen wieder vermehrt in Lohnarbeitsverhältnisse zu bringen – indem die vorhandene Arbeit einfach auf mehrere Schultern aufgeteilt wird.
In den Kollektivverträgen von Handel, Metall- und Baugewerbe wurde die 4-Tage-Woche bereits (unter bestimmten Voraussetzungen) verankert. Die letzte gesetzliche, für alle Branchen gültige Arbeitszeitverkürzung in Österreich liegt allerdings 46 Jahre zurück.
„Es kam punktuell zu extremen Leistungssteigerungen“
Die MitarbeiterInnen der Firma Ruchti können seit März 2020 wählen: vier Mal pro Woche neun Stunden, entweder Montag bis Donnerstag oder Dienstag bis Freitag; oder fünf Mal die Woche 7,2 Stunden. Die Jüngeren würden sich tendenziell für die 4-Tage-Variante entscheiden, ältere MitarbeiterInnen eher für die 5-Tage-Woche, beobachtet Röck. Aber für alle gilt: für denselben Lohn arbeiten sie nun statt bisher 40 nur mehr 36 Stunden.
Auch wenn manche etwas skeptisch dreinblickten, als Röck seinen MitarbeiterInnen das Konzept präsentierte, Beschwerden gab es keine. Denn einen Zwang zur Reduktion gibt es nicht – „und niemand wehrt sich gegen eine Lohnerhöhung“. Für Röck selbst ist das neue Arbeitszeitmodell nach wie vor ein riskantes Unterfangen. Seine „Augen-zu-und-durch-Entscheidung“ kam zwar bei den MitarbeiterInnen gut an, diese seien dank 3-Tage-Wochenende deutlich entspannter, verbringen mehr Zeit mit Hobbys, FreundInnen und Familie; aber die Lohnkosten im Unternehmen stiegen dadurch von einem Tag auf den anderen um zwölf Prozent.
Ob diese Mehrbelastung durch die steigende Produktivität der MitarbeiterInnen am Ende aufgewogen wird – viele Studien legen genau das nahe – kann Röck nicht mit Gewissheit sagen. „Es kam punktuell zu extremen Leistungssteigerungen“, aber durch die Corona-Krise seien Arbeitsabläufe und finanzielle Kalkulationen dermaßen durcheinandergebracht worden, dass eine seriöse Aussage kaum möglich sei.
„Ich würd’s wieder machen!“
Röck, der den Familienbetrieb Ruchti in vierter Generation führt und für den eher die 7-Tage-Woche Usus ist, sagt heute dennoch: „Ich würd’s wieder machen!“. Gerade junge BetriebsinhaberInnen aus der Region würden sich sein Modell mittlerweile zum Vorbild nehmen. Er schätzt, dass es noch sechs oder sieben Jahre dauern wird, bis das in seiner Branche ohnehin die Regel sein wird.
Nachdem die Werbekampagne Ruchtis im Herbst vergangenen Jahres auslief, sank auch die Zahl der BewerberInnen wieder. In Sachen Fachkräftemangel stehe man nun wieder am Anfang. Die gute Nachricht für die Firma Ruchti und Geschäftsführer Röck: Nachdem der Start mehrmals verschoben wurde, soll im Herbst endlich „Keine Zeit zu sterben“ in den Kinos anlaufen. Und mit dem neuen „007“-Film auch Ruchtis Werbespot. „Und wenn James Bond läuft, dann soll das wieder durch die Decke gehen!“.
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