„Die Grenzen sind für viele erreicht“

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Martin Schwantler ist diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Betriebsrat sowie stellvertretender Leiter der Pflege in der Zentralen Notaufnahme im Hanusch Krankenhaus in Wien. Das Hauptproblem aus seiner Sicht: Es fehlt an allen Ecken und Enden an Pflegekräften.

Eigentlich hat Martin Schwantler ja eine Fachschule für Bautechnik absolviert. „Aber ich habe schon in der Ausbildung gemerkt, dass mich das wenig interessiert.“ Abschließen wollte der gebürtige Kärntner sie trotzdem. „Ein Abschluss ist ein Abschluss.“ Im Zug seines Zivildiensts beim Roten Kreuz in Villach merkte er: Das ist es. Und da es ihn zudem auch nach Wien zog, beschloss er in der Bundeshauptstadt die Schule für Gesundheits- und Krankenpflege zu absolvieren.

Seit 2008 ist er in diesem Beruf tätig – viele Jahre übrigens in Teilzeit, da er nach der Geburt seines Sohnes die Möglichkeit der Elternteilzeit in Anspruch nahm. Dabei arbeitete er zunächst in einer Neurologie-Station am Rosenhügel und wechselte 2012 ans Hanusch Krankenhaus. Dort war er zuerst im Bereich Kardiologie eingesetzt und übernahm 2018 zunächst die stellvertretende Stationsleitung im Bereich Stoffwechsel und Gastro-Enterologie, 2019 dann die stellvertretende Stationsleitung der Zentralen Notaufnahme.

Kandidatur zum Betriebsrat

Von jeher sei er aber auch „ein vorlauter Mensch“ gewesen, wie er erzählt. Und habe sich gedacht, da wäre es auch sinnvoll, sich einzubringen. Das tut er einerseits auf der politischen Ebene, in dem er sich in Liesing sowohl bei der SPÖ als auch der FSG engagiert. Das tut er aber auch in seinem Arbeitsumfeld: 2012 kandidierte er erstmals für den Betriebsrat im Hanuschkrankenhaus und blieb dieser Funktion bis heute treu. „Ich wollte eine Stimme sein für die Leute, die sich nichts zu sagen trauen. Mir war immer wichtig, dass man mündiger wird und Menschen bestärkt, für sich einzutreten, etwa dafür, dass es nicht selbstverständlich ist, dass man überlastet arbeiten muss.“

„Ich wollte eine Stimme sein für die Leute, die sich nichts zu sagen trauen.“

Martin Schwantler

Damit ist Schwantler schon bei einem Kernproblem des Pflegepersonals angelangt: Es ist das Fehlen desselben. „Es gibt zu wenige Bewerber, es kommen zu wenige Pflegekräfte nach. Deshalb müssen die, die im Beruf sind, viele Überstunden machen.“ Doch irgendwann gehe das nicht mehr, weil die Leute erschöpft seien. „Die Belastung ist inzwischen einfach zu hoch. Die Grenzen sind für viele erreicht“, prangert der Betriebsrat an.

Auf seiner Station sei die Situation noch stabil, hier arbeite ein Team von 30 Pflegekräften, untertags seien jeweils sieben Personen eingesetzt, nachts vier, das gehe sich gut aus. Betreut würden jeweils zwischen 40 bis 80 PatientInnen pro Tag, das Gros von ihnen ambulant. Doch auf anderen Stationen im Hanusch Krankenhaus sehe es anders aus, da seien Stellen seit Monaten unbesetzt und das führe zu massiven Problemen, weiß er aus Gesprächen mit KollegInnen.

Fehlende Ruhephasen

„Es gibt Stationen, an denen die MitarbeiterInnen vier bis fünf Mehrdienste im Monat machen müssen. Da hat man überhaupt keine Ruhephasen mehr.“ Von KollegInnen in anderen Krankenhäusern wisse er, dass diese unzählige Nachtgutstunden stehen hätten und diese nicht mehr abbauen könnten. Pro Nachtdienst erhalten Pflegekräfte zwei so genannte Nachgutstunden, die allerdings innerhalb einer Frist konsumiert werden müssen, sonst verfallen sie. „Immer wieder kommt es dazu, dass drei bis vier Wochen hintereinander 60 Stunden pro Woche gearbeitet wird. Das ist sehr prekär. Es ist ein großer Wunsch der MitarbeiterInnen, dass sie ihre Freizeit auch nutzen können.“

„Immer wieder kommt es dazu, dass drei bis vier Wochen hintereinander 60 Stunden pro Woche gearbeitet wird.“

Martin Schwantler

Stichwort Freizeit: Regelmäßig hört der Betriebsrat auch von den KollegInnen, die er vertritt, dass ihnen mehr Dienstplansicherheit ein großes Anliegen wäre. Formal gebe es zwar keine Bereitschaftsdienste. Aber alle Pflegekräfte seien ständig in so etwas wie einer moralischen Rufbereitschaft. „Wir sind ein sehr kollegialer und sozialer Berufsstand. Wenn der Hut brennt, dann springt man ein. Da tun sich viele schwer, nein zu sagen.“

In den vergangenen Jahren habe Covid-19-bedingt oft der Hut gebrannt. Zusätzlich zu den nicht nachbesetzten Stellen kamen die Ausfälle durch an dem Virus erkrankten KollegInnen. Immer wieder baten Stationen um Aushilfen. Immer wieder musste auch massiv gekämpft werden, dass Betten gesperrt werden, weil eben niemand mehr da war, um PatientInnen adäquat zu betreuen.

Genau das möchte Schwantler vermitteln: „Man kann noch so viele Betten aufstellen, Geräte aufbauen, Krankenhäuser einrichten: Wenn niemand da ist, der das bedient und sich um die PatientInnen kümmert, wird das nichts bringen.“

Martin Schwantler ist Betriebsrat im Hanusch Krankenhaus. Er kämpft für mehr Anerkennung, bessere Bezahlung und die 35-Stundenwoche.
Fotos: Nurith Wagner-Strauss

Nachwuchs fehlt

Das wichtigste sei nun, das Pflegepersonal zu entlasten. Hier bringt Schwantler einerseits die 35-Stunden-Woche in die Debatte mit ein. „Das würde bessere Erholungszeiten bringen. Die körperliche und seelische Belastung ist derzeit einfach zu hoch.“ Er höre auch immer wieder von Teilzeitkräften, dass sie bereit wären, auf 35 Stunden zu erhöhen, wenn die Vollzeittätigkeit eben auf 35 Stunden Wochenarbeitszeit reduziert würde. Zweitens müsse man aber auch bei der Ausbildung ansetzen. Seit Diplomierte Pflegekräfte nicht mehr an Schulen, sondern an Fachhochschulen ausgebildet würden, gebe es nur mehr ein Drittel der Ausbildungsplätze. Es kämen also viel zu wenige KollegInnen nach.

„Man kann noch so viele Betten aufstellen, Geräte aufbauen, Krankenhäuser einrichten: Wenn niemand da ist, der das bedient und sich um die PatientInnen kümmert, wird das nichts bringen.“

Martin Schwantler

Hier brauche es einerseits mehr FH-Plätze für angehende Pflegekräfte. Gleichzeitig sollen sie, analog etwa zur Ausbildung von PolizistInnen, bereits für ihre Tätigkeit in Spitälern, die einen Gutteil ihrer Ausbildung ausmachen, adäquat entlohnt werden. Andererseits müsse die Tätigkeit der PflegefachassistentInnen aufgewertet werden, fordert Schwantler. Wenn diese zum Beispiel auch medikamentöse Therapien wie Infusionen geben könnten, wären die Pflegekräfte entlastet. Der Betriebsrat wünscht sich zudem einen leichteren Zugang von bereits ausgebildeten PflegefachassistentInnen zu einem FH-Pflege-Studium. Für viele sei hier die nötige Matura eine große Hürde. „Vielleicht kann man da einen Zugang über eine vereinfachte Studienberechtigungsprüfung schaffen.“

Höhere Bezahlung als Zeichen der Wertschätzung

Und schließlich ist da auch noch die Frage der Bezahlung. Einerseits brauche es hier insgesamt eine höhere Dotierung der Gehälter. „Das hat auch mit Wertschätzung zu tun.“ Andererseits kämen immer wieder KollegInnen zu ihm, die damit kämpfen, dass es einen langen Atem brauche, um Zulagen für Tätigkeiten, die man bereits ausgeübt habe, zu bekommen. Das führe dazu, dass sie sich „nicht wahrgenommen fühlen“. Insgesamt seien gerade Pflegekräfte wichtig für die Gesellschaft. Das müsse sich auch am Gehalt ablesen lassen.

Menschen in sozialen Berufen hätten oft lange eine Hemmung, mit ihren Sorgen an die Öffentlichkeit zu gehen. „Man zögert, man will ja seine PatientInnen nicht im Stich lassen, man will die KollegInnen nicht im Stich lassen.“

Konzepte für einen Weg aus dieser Pflegekrise gäbe es genug, auch von Seite der Gewerkschaften. „Es geht nur um den politischen Willen.“ Und seinen KollegInnen sagt Schwantler: „Wir können uns trauen, laut zu sein. Wenn wir für uns eintreten, treten wir auch für die PatientInnen ein.“

Zur Person

Martin Schwantler, geb. 1983 in Villach, zunächst Fachschule für Bautechnik, nach dem Zivildienst beim Roten Kreuz als Rettungssanitäter Schule für Gesundheits- und Krankenpflege in Wien. Seit 2008 als Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger tätig, zunächst am Rosenhügel in Wien, ab 2012 im Hanusch Krankenhaus. Seit März 2019 stellvertretende Stationsleitung der Zentralen Notaufnahme im Hanusch Krankenhaus. Seit 2012 Betriebsrat, seit 2018 Mitglied des Regionalausschusses der IG Social Wien. Schwantler ist Vater eines Sohnes und lebt in Wien. In seiner Freizeit engagiert er sich bei der SPÖ sowie der FSG Liesing, sportelt viel, geht ins Theater und campt gerne.

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