Wer ist Schuld an den Schulden und wir kriegen wir sie in den Griff? AK-Budgetexpertin Christa Schlager über das europäische Krisenmanagement und den Erhalt des Wohlstandes durch richtige Steuerpolitik
KOMPETENZ: Die hohe Verschuldung der öffentlichen Haushalte wird heute gerne als Folge eines überbordenden Sozialstaates dargestellt, den wir uns nicht mehr leisten können. Was sind die Ursachen für die aktuelle Schuldenkrise in Europa?
Christa Schlager: 2007, vor dem Ausbruch der Krise lagen die Staatsschulden bei 59 Prozent des BIP, d.h. unter der erlaubten Maastrichtgrenze von 60 Prozent. Ende 2011, mit der Krise, ist der Schuldenstand der EU Staaten wieder deutlich gestiegen – auf 82,5 Prozent. Klar ersichtlich als Folge, nicht als Ursache der Krise!
Die Ursachen der Krise liegen hingegen tiefer und entstanden ja lange vor dem Auftreten. Ein Grund für die Krise liegt in der Entstehung eines weitgehend unregulierten, aufgeblähten Finanzsystems. Einher geht damit weltweit ein enormer Anstieg der Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen, was dazu führt, dass sich auf der einen Seite immer mehr Menschen verschulden und auf der anderen Seite immer mehr ‚Spielkapital’ entsteht, das sich immer neue, immer spekulativere Finanzprodukte wünschte bzw. suchte – versprochene Renditen von 25 Prozent bei 2 Prozent realem Wachstum gehen allerdings nicht zusammen! In Europa kommt noch dazu, dass man gehofft hat, dass sich wirtschaftlich unterschiedlich entwickelte Staaten mit einer gemeinsamer Währung rasch angleichen würden, allerdings wurde kein geeigneter wirtschaftspolitischer Rahmen dafür geschaffen. Die Entwicklung ist anders gelaufen als erhofft – vielmehr ist das Gegenteil der Fall.
KOMPETENZ: Sind die bisher auf europäischer Ebene getroffenen Maßnahmen ausreichend, um die Krise in den Griff zu bekommen?
Christa Schlager: Nur bedingt, manche Maßnahmen haben gegriffen, einige nicht, etliche waren schlichtweg falsch. Wir sehen ja, dass die Krise nicht vorbei ist. Es wurden und werden eine Fülle von Maßnahmen beschlossen, bevor diese allerdings umgesetzt sind bzw. in die Gänge kommen, gibt es schon wieder neue Vorschläge. Damit entsteht eine vollkommene Unübersichtlichkeit, bei der Bevölkerung steigt die Verunsicherung.
Was bei diversen ‚Rettungsmaßnahmen’ innerhalb der EU gerne übersehen wird – der wirtschaftliche Erfolg des europäischen Projekts liegt im über die letzten Jahrzehnte hinweg aufgebauten Wohlstand breiter Mittelschichten begründet. In der derzeitigen Diskussion geht die EU als wichtigster Absatzmarkt der europäischen Wirtschaft beinahe unter: Über 90 Prozent der Waren und Dienstleistungen, die in der EU produziert werden, werden auch in Europa wieder verkauft! Wir müssen also die Binnennachfrage als zentralen Faktor im Auge behalten! Zudem braucht es eine effektive Finanzmarktregulierung, die Eindämmung von Spekulation und das Austrocknen von Steueroasen, sowie eine Steuerkoordinierung damit die Gewinne, die in Europa erwirtschaftet werden, entsprechend fair versteuert werden müssen – in ganz Europa.
KOMPETENZ: An einer stärkeren fiskalpolitischen Koordinierung wird aber kein Weg vorbei führen?
Christa Schlager: Europa braucht gemeinsame Ziele, eine Motivation – und daraus müssen eine Vielzahl von abgestimmten Maßnahmen abgeleitet werden. Wirtschaftspolitik ist immer ein „Policy Mix“. Ich würde sagen: wir brauchen eine bessere, aber nicht zwingend mehr fiskalpolitische Koordinierung.
Alle Augen richten sich auf die Fiskalpolitik, das Versagen der Geldpolitik wird im Zusammenhang mit der Eurokrise dagegen nie thematisiert, obwohl ja inzwischen immer deutlicher wird, dass das eingeschränkte Mandat der EZB in der Währungsunion keinen Sinn macht. Eine Währungsunion braucht eine Zentralbank, welche die Währung „steuert“. Diese Aufgabe den Finanzmärkten zu überlassen ist ja offensichtlich der größte Fehler der Währungsunion. Damit ist man den Finanzmärkten, ihren ‚Bewertungen’, ‚Urteilen’ und Entwicklungen immer ausgeliefert.
KOMPETENZ: Welche budgetpolitischen Maßnahmen sind konkret in Österreich notwendig, um Wachstum und Beschäftigung zu sichern?
Christa Schlager: Budgetpolitik muss vor allem als Teil einer Zukunftsstrategie begriffen werden, sie ist wesentlicher Bestandteil der Wirtschafts- und Sozialpolitik. In der Krise waren es nicht die Staaten mit hohen Steuern und ausgebauten Sozialsystemen, die am meisten getroffen wurden, sondern die Niedrigsteuerländer mit schwach ausgebautem Sozialstaat. Wir haben uns im internationalen Vergleich ganz gut gehalten, mit Sparpaketen, die nur halb so groß waren wie im EU-Durchschnitt. Dadurch wurde die Konjunktur nicht abgewürgt, was wiederum geholfen hat, das Budget zu sanieren, weil weiterhin Steuern geflossen sind. Mit dem moderaten Weg liegen wir bisher ganz gut.
KOMPETENZ: Gegner von höheren Vermögenssteuern argumentieren mit der hohen Abgabenquote in Österreich und reden von Enteignung.
Christa Schlager: Jede Art von Steuer und Abgabe ist so gesehen eine ‚Enteignung’, weswegen Steuern ja gesetzlich geregelt sind. Beim Kauf einer Wurstsemmel werden mir 10 Prozent weggenommen, und von meinem Gehalt bis zu 42 Prozent. Dafür bekomme ich aber auch eine funktionierende Infrastruktur, ein Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem. Diese ‚Enteignung’ ist also ein Geschäft auf Gegenseitigkeit und schafft in Summe mehr Wohlstand – für alle!
Das Steuersystem muss allerdings umgebaut werden: Bei einer Steuer- und Abgabenquote von rund 42 Prozent machen die Vermögenssteuern gerade einmal 0,5 Prozent des BIP aus! Wir bestrafen die Arbeitenden und belohnen Erben und Spekulanten. Es braucht daher eine höhere Belastung auf den Faktor Kapital bzw. Vermögen, bei gleichzeitiger Entlastung von Arbeit. Das würde nicht nur mehr Steuergerechtigkeit bringen, sondern auch die Massenkaufkraft stärken, was wichtige wirtschaftliche Wachstumsimpulse bringen würde. Und wir hätten endlich die notwendigen finanziellen Mittel für den Ausbau von Pflege, Betreuung und Bildungseinrichtung – für Zukunftsinvestitionen in sozialen Wohlstand für alle statt für einige wenige.