Kein Kinderspiel

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Geregelte Ausbildung, bessere Lohn- und Arbeitszeitmodelle. Es gibt genug Baustellen in der Elementarpädagogik. Ein Blick auf eine Branche, die allgemein oft unterschätzt wird.

Elementarbildung leisten, heißt harte Arbeit und wenig Lohn. Karin Samer ist Betriebsratsvorsitzende für den pädagogischen Bereich der Kinderfreunde. „Kindergartenpädagogik ist ein sehr komplexer und Kräfte raubender Beruf“, weiß Samer. Das Fachpersonal fehlt, die Fluktuation ist hoch und der Männeranteil marginal. Voraussetzungen sind u.a.: MitarbeiterInnen müssen sehr flexibel arbeiten können und ein hohes Maß an Selbstreflexion mitbringen.

Vielfältige Anforderungen

Die Betriebsratsvorsitzende beschreibt eine typische berufliche Stress-Situation, die in einem Kindergarten immer wieder in ähnlicher Weise auftreten kann: Drei bis vier Kinder sitzen mit einer Fachkraft an einem Tisch, geübt wird ein didaktisches Spiel. Doch zwei der Kinder geraten in einen Konflikt, der gelöst werden muss während bereits Eltern eines anderen Kindes an der Türe warten, um eine Auskunft zu erhalten. Expertin Samer: „Die Aufgabe besteht darin, die Anforderungen gleichwertig und gut zu lösen. Keiner sollte das Gefühl haben, nicht wahrgenommen zu werden“. Doch permanente Aufmerksamkeit und beinahe simultan auf die Bedürfnisse aller einzugehen, das ist auf Dauer sehr anstrengend. Ein komplexes Spannungsfeld findet sich dabei insbesondere in Wien. Einerseits ist hier der Anteil sehr fordernder Eltern mit hohem Bildungsniveau groß, die ihre Kinder schon im Vorschulalter fit für die Berufswelt machen wollen. Andererseits sind in den Kindergärten der Hauptstadt auch die meisten Kinder mit geringen Sprachkenntnissen zu finden.

„Nach wie vor werden rund 25 drei- bis sechsjährige Kinder von einer Pädagogin oder einem Pädagogen in Vollzeit betreut.“

Karin Samer, Betriebsratsvorsitzende für den pädagogischen Bereich der Kinderfreunde

„Doch in den vergangenen 10 Jahren hat sich in Wien der Betreuungsschlüssel nicht verändert“, erklärt Karin Samer. Nach wie vor werden rund 25 drei- bis sechsjährige Kinder von einer Pädagogin oder einem Pädagogen in Vollzeit betreut, eine Assistenz steht für 20 Wochenstunden zur Verfügung. „Den Großteil der Arbeitszeit muss die Assistenz allerdings für Essenszubereitung und Putzen aufwenden“, weiß Samer. Damit sind die VollzeitpädagogInnen mit der Aufmerksamkeit für 25 Kinder auf sich alleine gestellt. Keine ideale Situation für Kinder und BetreuerInnen.

Schwieriges Terrain

Einer EU-Empfehlung besagt: eine Gruppe sollte aus maximal 16 Kindern bestehen. Vorbild Schweden: hier arbeiten gleich drei bis vier PädagogInnen mit gerade 20 Kindern.

Auch ist der Drang junger Menschen, in diesen Beruf einzusteigen – nicht zuletzt der niedrigen Löhne wegen – gering. „Es gibt Leute, die glauben, wir spielen ein bisschen mit den Kindern und das war es auch schon“, zeigt sich die Betriebsratsvorsitzende der Kinderfreunde empört.

Welchen Aufwand es wirklich bedeutet, ein Kind weiterzuentwickeln, ist nur wenigen Menschen bewusst. Genau wie die Tatsache, dass Zwei- und Sechsjährige in derselben Gruppe nicht die gleichen Anforderungen stellen.

Mit diesem Image der Elementarpädagogik muss auch Silvia Igumnov leben. Die Betriebsrätin der Arbeitsvereinigung der Sozialhilfe Kärntens (AVS) vertritt rund 1700 MitarbeiterInnen, die eine große Bandbreite in der Betreuung von Kindern bis hin zu SeniorInnen abdecken – sie ist dabei auch für 150 Tagesmütter zuständig. „In Kärnten gibt es bereits seit 1974 Tagesmütter. Damals hieß es, das  wären ja bloß Hausfrauen, die auch auf andere Kinder schauen“, weiß Igumnov aus eigener Erfahrung. Erst eine verpflichtende Ausbildung milderte dieses Vorurteil: „Wir wurden dadurch erst als Fachkräfte gesehen“, erinnert sich die AVS-Betriebsrätin.

Ohne Liebe geht es nicht

Tagesmütter sollten sich gerne mit Kindern beschäftigen, ausgeglichen sein und viel soziale Kompetenz für diesen Beruf mitbringen. Zudem ist Lärmverträglichkeit unabdingbar. Auch der Kontakt zu den Eltern der Tageskinder ist oft intensiver als in einem Kindergarten. Und schließlich ist das finanzielle Auskommen unsicher, denn die Bezahlung hängt freilich von der Anzahl der zu betreuenden Kinder ab.

„Je mehr Kinder ich betreue, desto höher ist mein Gehalt. Im Herbst steht oft der Wechsel in den Kindergarten an und dann fragen sich viele Tagesmütter, ob das Nachbesetzen gelingt und wie es finanziell weiter geht – eine große Belastung für die KollegInnen“, erklärt Silvia Igumnov. Bei einer geringen Zahl von Tageskindern kann die Tagesmutter von der Vollversicherung in die Geringfügigkeit rutschen. „Die KollegInnen verdienen dann plötzlich so wenig, dass sie nicht über die Runden kommen“, macht die AVS-Betriebsrätin deutlich. In Kärnten wurde nun in der AVS ein Fixlohn-Modell initiiert, das die Unsicherheit abfedert. Dabei wird die Tagesmutter in der Vollversicherung gehalten. „Wenn das Einkommen unter die Grenze von 850 Euro fällt, wird die Differenz seitens des Trägers ausbezahlt. Die Tagesmutter rutscht nicht in die Geringfügigkeit.“ Dabei hat der Arbeitgeber in diesem Zeitraum das Recht, Tageskinder zuzuweisen. Insgesamt ist der Kollektivvertrag für Tagesmütter in den letzten Jahren merklich besser geworden: sie rücken schon nach drei anstatt fünf Jahren in der Gehaltsstufe vorwärts, ab 2020 sind es dann zwei Jahre. Außerdem konnte eine Regelung für Mehrleistungsstunden getroffen werden.

„Je mehr Kinder ich betreue, desto höher ist mein Gehalt. Im Herbst steht oft der Wechsel in den Kindergarten an und dann fragen sich viele Tagesmütter, ob das Nachbesetzen gelingt und wie es finanziell weiter geht – eine große Belastung für die KollegInnen.“

Silvia Igumnov, Betriebsrätin der Arbeitsvereinigung der Sozialhilfe Kärntens (AVS)

Unter den Tagesmüttern finden sich viele Gewerkschaftsmitglieder, das zeigt sich auch in der Stärke bei den Kollektivvertrags-Verhandlungen der vergangenen Jahre. Für die Zukunft wünscht sich Silvia Igumnov eine Bezahlung der Tagesmütter anhand der Arbeitszeit und nicht nach der Anzahl zu betreuender Kinder. Daneben sollte die Ausbildung für alle InteressentInnen leistbar sein. „Denn nur dann können auch mehr Leute dazu motiviert werden, in den Beruf einzusteigen.“

Mangel an einheitlichen Standards

Weder für Tagesmütter noch für Kindergarten-AssistentInnen gibt es eine bundesweit anerkannte Ausbildung. Ebenso besteht kein Berufsschutz, es gibt auch keine einheitlichen österreichweiten Ausbildungsstandards und Anforderungsprofile. Betroffen sind davon überwiegend Frauen, die zwar oftmals praktische Erfahrung mit in den Job einbringen, aber dafür keine Anerkennung erhalten.

Andererseits sollen elementare Bildungseinrichtungen immer mehr Qualität bieten, doch Karin Samer kennt das „große Aber“ nur zu gut: „Wenn es um konkrete Projekte geht wird, von der Politik mit den beschränkten finanziellen Ressourcen argumentiert“. Auch ist Österreich das einzige Land in Europa wo es keine akademische Ausbildung in der Elementarpädagogik gibt. Sogar in Malta wurde hier eine tertiäre Ausbildung eingeführt.

Damit sich die allgemeine Lage bessert, fordert Karin Samer ein Bundesrahmengesetz mit einheitlichen Richtlinien. „Das reicht von der Gruppengröße, wie sie auch wissenschaftliche Erkenntnisse sinnvoll erscheinen lassen, bis zu ausreichend Personal für die Betreuung der Kinder.“ Auch ist eine tertiäre Ausbildung für KindergartenpädagogInnen  dringend erforderlich, ebenso muss es endlich eine einheitliche Ausbildung für unterstützendes Hilfs-Personal elementarer Bildungseinrichtungen geben. „Dazu gehören natürlich auch einheitliche Förderungen. Die Kompetenz soll von den Ländern zum Bund verlagert werden.“

Weniger Stunden helfen allen

Weil die Anforderungen in Bildungseinrichtungen ständig steigen, gehen immer mehr KollegInnen von Samer in Teilzeit. Der kräfteraubende Job wäre mit einer Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden bei vollem Personal- und Lohnausgleich weitaus attraktiver. „Das wäre auch ein Anreiz, dieses Berufsfeld zu wählen.“ Weniger Arbeitsstunden wünscht sich AVS-Kollegin Igumnov auch für Tagesmütter. „Dieses Thema werden wir nicht fallen lassen“, erklärt die Betriebsrätin mit Bestimmtheit. „Gerade eine Arbeitszeitreduktion ist langfristig gesehen etwas ganz Wichtiges, um auch länger und gesund im Job zu bleiben.“ Mehr Freizeit bedeutet auch Erholung und damit weniger Krankenstände.

Die Gewerkschaft GPA hilft

GPA-Mitgliedern steht ein vielfältiges Beratungsangebot zu arbeitsrechtlichen Fragen zur Verfügung. Nicht-Mitglieder können unter 050301-301 eine kostenlose Erstberatung in Anspruch nehmen.

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