Sozialstaat nach der Krise nicht in Frage stellen

Foto: Mathias Beck

Für den AK-Experten Matthias Schnetzer hat die aktuelle Coronakrise die vorhandene soziale Ungleichheit sichtbarer gemacht. Er plädiert im Interview mit der KOMPETENZ dafür, nach der Krise über höhere Gehälter in Pflege- und Sozialberufen sowie im Lebensmittelhandel zu sprechen.

KOMPETENZ: Die Regierung reagiert derzeit mit großen Paketen für die Wirtschaft und mit dem Kurzarbeitsmodell für ArbeitnehmerInnen auf die Corona-Krise. Ist die Abfederung ausreichend?

MATTHIAS SCHNETZER: Es ist auf jeden Fall ein erster wichtiger Schritt. Ob es ausreichen wird, wird davon abhängen, wie sich die Krise weiterentwickelt. Wovon man aber jetzt schon ausgehen kann, ist, dass die 400 Millionen Euro für die Kurzarbeit nicht ausreichen werden.

KOMPETENZ: Von Seite der EPUs gibt es Klagen, dass der für sie gedachte Härtefallfonds mit einer Milliarde Euro zu niedrig dotiert sein wird.

MATTHIAS SCHNETZER: Das ist schwierig einzuschätzen, weil über die Einkommenssituation der EPUs recht wenig bekannt ist. Wenn man sich allerdings den Einkommensbericht des Rechnungshofes anschaut, sieht man, dass von den rund 350.000 Selbständigen überhaupt nur die Hälfte Einkommenssteuer zahlt. Und von jenen, die Steuer zahlen, liegt das mittlere Einkommen bei 2.200 Euro pro Monat. Das mag zum Teil mit schlechter steuerlicher Erfassung der Einkommen zusammenhängen. Dennoch gibt es viele kleine Selbständige, die die aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus hart treffen. Wenn sie nun 1.000 bis 2.000 Euro pro Monat bekommen und das auch nur für drei Monate – die Kurzarbeit ist im Vergleich dazu auf bis zu sechs Monate angelegt – kommt man vielleicht gerade so über die Runden. Wenn die Krise länger dauert, wird man sich da noch etwas überlegen müssen.

KOMPETENZ: Die aktuellen social distancing-Maßnahmen, wie etwa die Schließung von Geschäften und Restaurants, verursachen – Stichwort: Kurzarbeit, Stichwort: Anstieg der Arbeitslosigkeit – einen massiven Anstieg der öffentlichen Ausgaben. Wie lange kann Österreich das verkraften?

„Nach der Krise wird sich die Finanzierungsfrage aber stellen und da wird es im Wesentlichen zwei Wege geben: Neoliberale werden argumentieren, dass man jetzt sparen muss. Sinnvoller wäre es aber, einen Beitrag von jenen einzufordern, die es sich leisten können.“

Matthias Schnetzer

MATTHIAS SCHNETZER: Natürlich wird sich früher oder später die Frage stellen, wer das finanziert. Österreich ist zwar in der guten Situation, dass es an den Kapitalmärkten sehr günstig Geld aufnehmen kann, weil das Zinsniveau niedrig ist. In Italien sieht es da ganz anders aus – dort muss man sich viel teurer verschulden. Nach der Krise wird sich die Finanzierungsfrage aber stellen und da wird es im Wesentlichen zwei Wege geben: Neoliberale werden argumentieren, dass man jetzt sparen muss. Sinnvoller wäre es aber, einen Beitrag von jenen einzufordern, die es sich leisten können. Dann müssten auch nicht die HeldInnen dieser Krise auch noch für die wirtschaftlichen Folgen der Krise bezahlen.

KOMPETENZ: Was werden die geleerten öffentlichen Kassen für den Sozialstaat nach der Corona-Krise bedeuten?

MATTHIAS SCHNETZER: Man kann davon ausgehen, dass der Staatsschuldenstand ansteigt und sich das Budgetdefizit stark erhöht. Das sagen auch alle Wirtschaftsprognosen. Aber grundsätzlich steht Österreich auch dann nicht mit leeren Kassen da. Die EU hat die Maastricht-Kriterien und die Budgetregeln außer Kraft gesetzt – Österreich kann immer Geld für langfristige Investitionen aufnehmen. Damit kommt auch der Sozialstaat nicht in einen Engpass. Und wir sollten uns nach dieser Krise auch ja nicht in eine solche Diskussion drängen lassen, nämlich dass der Wohlfahrtsstaat zurückgefahren werden muss. Es wäre auch eine Möglichkeit, die unflexiblen Budgetregeln weiter locker zu lassen und von jenen, die es sich leisten können, einen fairen Beitrag einzuholen.

KOMPETENZ: Dafür müsste man beim Steuersystem ansetzen und zum Beispiel Vermögenssteuern einführen.

MATTHIAS SCHNETZER: Es gibt da unterschiedliche Möglichkeiten. Aber ja, es käme ein substanzieller Betrag für den Staatshaushalt zusammen, wenn man Vermögenssteuern mit einem hohen Freibetrag – eine Million Euro – und niedrigem Steuersatz einhebt. Der Steuersatz könnte dann mit dem Vermögen steigen. Ein Vermögen von über einer Milliarde Euro haben nur 35, 40 Haushalte. Mit einer Erbschaftssteuer kämen laut Schätzungen an die 500 Millionen Euro pro Jahr heraus, das ist zwar nicht so der Riesentopf, aber das wären sozial gerechte und wichtige Einnahmen zum Beispiel für die Pflege.

Man könnte aber auch andenken, den Einkommenssteuersatz für Einkommensmillionäre temporär zu erhöhen. Dieser liegt derzeit bei 55 Prozent, man könnte ihn – eben zeitlich begrenzt – erhöhen. Das beträfe an die 300 Menschen. Unabdingbar ist es, die Steuersenkungen, die bereits angekündigt wurden – die Körperschaftssteuer-Senkung und die Kapitalertragssteuer-Befreiung für Wertpapierkursgewinne – abzusagen.

„Die Krise hat soziale Ungleichheiten, die davor schon da waren, sichtbarer gemacht.“

Matthias Schnetzer

KOMPETENZ: Was bedeutet die Corona-Krise für die Verteilungsfrage?

MATTHIAS SCHNETZER: Die Krise hat soziale Ungleichheiten, die davor schon da waren, sichtbarer gemacht. Und es wurde deutlich, dass Jobs, die derzeit schlecht bezahlt sind und schwierige Arbeitsbedingungen haben, wichtig für das Funktionieren der Gesellschaft sind. Hier gilt es nach der Krise nachzubessern und die Arbeitsbedingungen dieser HeldInnen der Krise deutlich zu verbessern.

KOMPETENZ: Dabei geht es vor allem um Menschen, die im Care-Bereich tätig sind, und Beschäftigte des Lebensmittelhandels. Sollte für sie die Arbeitszeit reduziert oder die Entlohnung erhöht werden?

MATTHIAS SCHNETZER: Man könnte an beiden Schrauben drehen. Dadurch, dass in diesen Branchen der Teilzeitanteil jetzt schon hoch ist und diese Jobs hauptsächlich weiblich formiert sind, wäre es aber vor allem wichtig, die Gehälter zu erhöhen. Diese Beschäftigten verdienen sich nun monetär eine Verbesserung.

KOMPETENZ: Was kann man aus der aktuellen Krise für das Ziel einer besseren Verteilung in der Gesellschaft lernen?

MATTHIAS SCHNETZER: In vielen Branchen gibt es nun Erfahrungen mit Teilzeit- oder Kurzarbeit. Das kann aufzeigen, dass der 40-Stunden-Job nicht das optimale Arbeitsverhältnis ist. Wer kürzer arbeitet, ist oft produktiver.

Was man auch sieht: der Wohlfahrtsstaat mit einem gut ausgebauten Gesundheitssystem ist extrem wichtig zur Verminderung von sozialen Unterschieden. In Österreich wird nun jeder medizinisch versorgt, egal ob arm oder reich – das sieht in anderen Staaten ganz anders aus. Die Lehre daraus ist: in Notfällen zeigt sich, wie wichtig der Wohlfahrtsstaat ist. Ich hoffe also, dass jene, die immer von Privatisierungen und Sparmaßnahmen im Sozialstaat schwadronieren, nun eines Besseren belehrt werden. Das ist aus meiner Meinung nach eine wichtige Lehre aus dieser Krise.

KOMPETENZ: Hätte ein bedingungsloses Grundeinkommen in der momentanen Situation noch besser abgefedert?

MATTHIAS SCHNETZER: Wenn ein bedingungsloses Grundeinkommen mit einer Aushöhlung des Sozialstaats und einer Reduktion der sozialstaatlichen Infrastruktur einhergeht, bin ich skeptisch. Und wie diese finanzintensive Maßnahme bei Aufrechterhaltung des jetzigen Sozialstaates leistbar wäre, sehe ich nicht. In der Krise hat sich unser Wohlfahrtsstaat jedenfalls sehr gut bewährt.

Zur Person:

Matthias Schnetzer ist Referent für Verteilungsfragen sowie Sozial- und Wirtschaftsstatistik in der Abteilung Wirtschaftswissenschaft der Arbeiterkammer Wien und Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien.

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